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Das nahe Andere

Veröffentlicht am 04.10.2023

Das westliche Interesse an Osteuropa erschöpft sich weitgehend in Negativfixierung und Unwissen. Höchste Zeit, jenen vielfältigen, traditionsreichen Raum zu entdecken, der sich direkt vor unserer Haustür erstreckt. Denn zwischen Warschau und Chișinău entspannt sich eine hybride Erfahrungswelt, von der man in Berlin, Paris und New York lernen könnte.

Ein Essay von mir aus dem Philosophie-Magazin, veröffentlicht im Dezember 2021

Wenn in deutschen Massenmedien von Osteuropa oder Ostmitteleuropa – im Folgenden der Einfachheit halber „Osteuropa“ – die Rede ist, liegt dieser selten ein erfreulicher Anlass zugrunde. Die Schleifung des Rechtsstaates in Polen, der klientelistische Nationalismus in Ungarn, die Korruption in Bulgarien, der Krieg in der Ukraine – diesen Themen werden Artikel und Sendungen gewidmet. Zu allem Überfluss gebricht es Osteuropa auch noch an touristisch-kulturgeographischer Mythologisierung. Ägypten, die Pyramiden. Japan, die Tempel. Neuseeland, Hobbits. Marokko, Kasbahs. Die Republik Moldau? Die Slowakei? Sogar der unmittelbare Nachbar Polen? Schaut man mit Furcht und Bewunderung auf China und die USA, verbindet man mit Tibet edelstes Mönchstum, glänzen bei der Nennung Tansanias die Augen der Safarisehnsüchtigen, so bleibt Osteuropa in der populären Imagination seltsam diffus. Das hat Tradition. Eine Tradition, die, in Zeiten der Hybridisierung und der Auflösung haltgebender Grenzen, aktueller nicht sein könnte.

Die grob gesagt zwischen Deutschland und Österreich auf der einen, Russland auf der anderen Seite liegenden Länder, deren Grenzen und Herrschaftsverhältnisse sich im Laufe der Geschichte ständig verändert haben, markieren ein hybrides Dazwischen, das sich vom Westen weder als Eigenes vereinnahmen noch als Fremdes exotisieren lässt. So argumentierte der 2015 verstorbende polnische Kunsthistoriker Piotr Piotrowski, Osteuropa sei nicht das „ganz Andere“ (real other), sondern das „nahe Andere“ (close other). Polen ist das beste Beispiel dafür.

Schon 1930 diagnostizierte der deutsche Kunsthistoriker Alfred Kuhn, die moderne Kunst Polens komme dem „Bedürfnis des Fremden nach Andersartigkeit kaum entgegen“. Und als der polnische Nobelpreisträger Czesław Miłosz 1959 seine Memoiren veröffentlichte, hielt er darin lakonisch fest: „In gewissem Sinne kann ich mich als einen typischen Osteuropäer betrachten. Anscheinend stimmt es, daß man dessen spezifisches Anderssein – das äußerliche wie das innere – einfach auf eine Art Formlosigkeit zurückführen kann. […] Mein Beispiel macht genügend deutlich, welch großer Mühe es bedarf, einander widersprechende Traditionen, Namen und ein Übermaß an Eindrücken zu verarbeiten, das heißt, in eine gewisse Ordnung zu gliedern.” Was die Philosophie betrifft, so arbeitete sich der polnische Philosoph Tomasz Mróz noch 2019 in einem Vortrag an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew an der Frage ab, ob, und falls ja seit wann, es überhaupt eine polnische Philosophie oder doch ‚nur‘ eine Philosophie in Polen gegeben habe.

Vielleicht speist sich die Unruhe unserer mulitpolaren Umbruchszeit aus dem dumpfen Wissen, dass wir nun alle Osteuropäer sind, auch in Westeuropa – Zuschauer wie auch Schauspieler in einem globalen Theaterstück mit ständig wechselnden Rollen, diversen Sprachen und widersprüchlichen Regieanweisungen. Provincializing the West“ lautete das Motto von Piotrowski. Und tatsächlich scheint im Westen nun so langsam in der Breite durchzusickern, dass man nicht mehr alleine den Ton angibt wie in den Jahrhunderten des europäischen Triumphalismus, Kolonialismus, Exzeptionalismus. Eine Erfahrung, die viele Osteuropäer in den Randzonen der Macht nur zu gut kennen. Sollen die Indifferenz oder die latente Überheblichkeit gegenüber der osteuropäischen ‚Peripherie‘ vielleicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles in Westeuropa selbst im Begriff ist, an die geopolitische Peripherie zu rutschen? Ohne in Kulturrelativismus oder Nationalismus-Verharmlosung zu verfallen, täte man in unseren Breitengraden auf alle Fälle gut daran, mit Blick auf Osteuropa von der Negativfixierung abzusehen und sich statt dessen zu fragen: Was ist es, das wir von Osteuropa lernen können, aus Gegenwart wie auch Vergangenheit?

Leider geschieht das Gegenteil. Nicht nur im deutschsprachigen Raum hat sich ein heimlicher Exotismus breitgemacht; ein Exotismus, in dem Piotrowskis „ganz Anderes“ als „unser ganz Anderes“ wiederkehrt: je ferner die Probleme, je markanter die Identitätsunterschiede, desto größer das mediale Interesse und die Solidaritätsgesten. So ist es frappant, wie dominant US-amerikanische Diskurse und soziale Kämpfe in Europa sind. Man erinnere sich nur daran, dass die SPD in den 1980er Jahren dem Freiheitskampf der polnischen Gewerkschaft Solidarność ablehnend begegnete, während sich die Partei heute mit Black Lives Matter solidarisiert. Die polnischen Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt während der „Baseballschlägerjahre“ (Christian Bangel), wer kennt sie noch? Wie fühlen sich Polen, deren Vorfahren zwei Jahrhunderte lang kolonialisiert, ausgebeutet, bekriegt wurden, wenn Akademiker heute mit neoessenzialistischer Verve von „white privilege“ sprechen? Und hat man letztlich, als in Deutschland oder der Schweiz Tausende trotz Corona in Solidarität mit Black Lives Matter demonstrierten, Veranstaltungen von ähnlicher Dimensionen in Solidarität mit Weißrussinen oder der polnischen Opposition gesehen? Wer das eine gegen das andere ausspielt, ist ein Demagoge. Wer das eine nicht in Relation zum anderen setzt, ein Ideologe.

Verlässt man die Schwarz-Weiß-Kategorien und widmet sich den hybriden Räumen und Geschichten Osteuropas, dann kommt man nicht umhin, die eigenen Denkschablonen neu zu justieren. Wird beispielsweise Multikulturalität in Diversity-Fibeln bevorzugt mit Bildern von Weißen, die auf Schwarze treffen, oder von Anzugträgern, die sich mit Kopftuchträgerinnen unterhalten, illustriert, dann geraten die weniger eindeutige Binnenmultikulturalität und Binnendiversität Europas aus dem Blick. Wie repräsentiert man eigentlich „den Moldawier“? Oder „die Abchasin“? Wie das Hybride? Es sind genau die subtileren Formen von Diversity, die in Diskursen über Globalisierung, Migration, Transkulturalität einen festen Platz haben sollten.

Die 1991 auf den Trümmern der Sowjetunion errichtete Republik Moldau etwa hat eine genuin hybride Vergangenheit: mal war sie ungarisch, mal osmanisch, mal russisch, mal rumänisch, mal sowjetrussisch, oft vieles zugleich. Im 19. Jahrhundert lebten Deutsche, Russen, Armenier, Ukrainer, Bulgaren, Polen, Rumänen, Gagausen auf dem heutigen Staatsgebiet. Um 1900 war die Bevölkerung der Hauptstadt Chișinău fast zur Hälfte jüdisch. 1903 schürten Rechtsextreme ein Pogrom – nicht das erste, nicht das letzte. Die Geschichte Chișinăus zeigt, dass Multikulti gelingen kann, aber stets die Gefahr besteht, dass ethnische Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Wer sich heute Gedanken über die Europäische Union, über Potenziale und Grenzen des Zusammenwachsens oder über „Diversity“ macht, sollte auf die Moldau schauen und von den dortigen Erfahrungen mit kultureller Diversität und politischer Fragilität lernen. Einen guten Einstieg bietet Chișinăus kleine, aber engagierte Kunst- und Theorieszene. Seit 2000 widmet sich dort die Young Artists Association Oberliht dem Ziel der Schaffung einer offenen Zivilgesellschaft. Eigentlich wollten die Mitglieder von Oberliht nach der Systemwende moderne Gegenwartskunst produzieren, anstatt Arbeitshelden, Ikonen oder Landschaften zu malen. Doch sie stellten fest, dass die Rahmenbedingungen dies nicht erlaubten. Der Kommunismus war auf dem Papier weg, der Raubtierkapitalismus grassierte, bis heute ist die Moldau arm und labil. Somit war die Hinwendung zu Aktivismus, intensivem Theoriestudium und soziopolitischem Engagement unausweichlich. Unter diesen Bedingungen, könnte man sagen, ist jede Form der Philosophie praktisch.

Der moldawische Soziologe und Occupy-Aktivist Vitalie Sprinceana sagte mir vor einigen Jahren auf einem Workshop, Chișinău sitze zwischen allen westlichen und östlichen Stühlen. Deshalb wäre die Stadt prädestiniert dafür, die Zivilgesellschaft neu zu erfinden. Anders als in westlichen Staaten, wo seit Jahrzehnten institutionelle Routine besteht, ist die Verhandlung der Zukunft im postkommunistischen Raum noch im vollen Gange. Und während an deutschen Hochschulen der „lange Sommer der Theorie“ zu Ende geht und die „intellektuellen Energien von '68 in schwach glimmende Substanzen zerfallen“ (Philipp Felsch), beginnen in Chișinău die Flammen wieder zu züngeln. Als ich Ende 2020 im virtuellen Chișinău an einer Podiumsdiskussion über „Art education in the context of political, economic and social transformations“ teilnahm, betonte die Kunsthistorikerin Tatiana Raschitor von der Chișinăuer Kunstakademie, wie dringlich der Einbezug zeitgenössischer Philosophie in die noch immer von der Sowjetzeit geprägten Curricula sei. Allerdings wäre es wünschenswert, entgegnete ich, dass nicht nur Importe aus den üblichen Diskurszentralen erfolgten – wer in Osteuropa unterwegs ist, stellt häufig fest, dass dort die großdenkerischen Theorien aus New York, Paris, Berlin rezipiert, lokale und regionale Quellen hingegen marginalisiert werden. Dabei gäbe es so viel zu entdecken und wiederzuentdecken!

Wer weiß heute noch, dass Europas erste Professorin für Philosophie mit Doktorats- und Habilitationsrecht in Chișinău aufwuchs? Anna Tumarkin (1875 – 1951) stammte aus einer russisch-jüdischen Familie und emigrierte 1892 von Chișinău aus in die Schweiz, wo sie zur international angesehenen Gelehrten avancierte. Als Extradordinaria veröffentlichte sie unter anderem das Buch Wesen und Werden der schweizerischen Philosophie (1948). Darin stellte sie wohlwollend fest: „Alle Anerkennung des philosophischen Denkens der Schweizer [beruht] auf der Erkenntnis, daß sie bei kritischer Prüfung des eigenen philosophischen Denkens bewußt auf alle Spekulation verzichten und im Hinblick auf die in aller Spekulation liegenden Gefahr einer willkürlichen Konstruktion einen wahren philosophischen Gehalt einzig in der unmittelbar erlebten und gegen kein kunstvoll aufgebautes philosophisches System zu vertauschenden Weltanschauung zu finden glauben.“ An dieser Nüchternheit könnten sich heute so manche künstlich überhitzte Debatten ein Beispiel nehmen. Bemerkenswert ist auch, dass Tumarkin das, was den Schweizern einst als Manko attestiert wurde, nämlich die Absenz großer philosophischer Systeme, als Vorzug auslegte – analog dazu könnte man die „gewisse Formlosigkeit“ (Miłosz) Osteuropas als Vorzug begreifen.

Schaute Tumarkin mit einem vom Zarenreich geprägten, neugierigen Blick auf die liberale Schweiz, so müsste man heute mit einem ähnlich offenen Blick auf Osteuropa schauen – und dabei nicht auf das ‚Rückständige‘ fokussieren, sondern vielmehr auf die Resilienz, das Geschick, den Realitätssinn und die Multiperspektivität, die es erfordert, um unter prekären Umständen zu überleben. Die junge Künstlerin Catalina Bucos, die sich früher bei Oberliht engagierte und heute in Köln Medienkunst studiert, schrieb mir unlängst per E-Mail: „Es ist sehr wichtig, von der Peripherie zu lernen. Osteuropäische Künstler sind von Beginn an auf Prekarität eingestellt und deshalb sehr reflektiert in dem, was sie zum Ausdruck bringen wie auch in der Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur.“ Natürlich ist es nichts dagegen einzuwenden, als Angehörige einer alteingesessenen Familie im nordrhein-westfälischen Niederdielfen philosophische Schriften von Kwame Anthony Appiah zu lesen und sich mit dem afrikanischen Volk der Ewe vertraut zu machen – im Gegenteil! Aber was, wenn man noch nicht einmal weiß, wo die Republik Moldau liegt, oder noch nicht einmal verstanden hat, warum im Nachbarland Polen Kultur- und Nationalessenzialismus grassieren?

Es fällt leicht, die heutige rechtskonservative Regierung Polens zu kritisieren. Und es ist mehr als nur angebracht. Aber damit allein ist wenig gewonnen. Die Vorgänge in Polen versteht nur, wer die Geschichte Polens versteht. Seit dem späten 18. Jahrhundert und bis ins späte 20. Jahrhundert war Polen geopolitische Manövriermasse, wurde geteilt, kolonialisiert, ausgebeutet, erniedrigt. Erst die Nazis, dann die Sowjets zerstörten gezielt die Eliten des Landes. Traumata werden über Generationen weitergegeben und konkretisieren sich politisch erst mit Verzögerung, siehe Ostdeutschland. Warum spielt Osteuropa in postkolonialen Studien kaum eine Rolle, wie Mithu Sanyal in ihrem Roman Identitti (2021) zurecht andeutet? Warum ist amerikanische Identitätspolitik in Westeuropa ein Diskursfetisch, während Bücher wie Peter Rodgers Identity Politics in Ukraine, 1991–2006 Diskursraritäten bleiben? Und warum nicht auch das geistige Erbe Polens entdecken?

In Zeiten, da rechter Autoritarismus (etwa in Brasilien), linker Totalitarismus (etwa in China) und illiberale Identitätspolitik Konjunktur haben, empfiehlt es sich beispielsweise Czesław Miłoszs Totalitarismuskritik Verführtes Denken (1953) oder Leszek Kołakowskis Satire auf den real existierenden Sozialismus Was ist Sozialismus (1956) zu lesen. Beide Denker waren philosophische Essayistiker und der Essay ist das beste Format für experimentelle Umbruchszeiten. Miłosz erläuterte auf brillante Weise am Beispiel vom Kommunismus berauschter polnischer Intellektueller, warum gerade die – vermeintliche – Geisteselite empfänglich für die Versuchung der Macht ist: Sie will die kognitive Dissonanz zwischen gefühlter und realer Geltung überwinden. Einerseits wähnen sich viele Intellektuelle der breiten Masse überlegen. Sie verzweifeln geradezu daran, dass die einfältigen Anderen nicht begreifen, was sie längst begriffen haben. Andererseits wollen sie, geplagt vom Gefühl der Entfremdung, zu ebenjener Masse gehören. Kommt also eine politische Bewegung daher, die verspricht, hochstehende Theorie mit Macht und Masse zu verbinden, so sind sie für diese empfänglich. Miłosz beließ es aber nicht bei einer Kritik des linken Totalitarismus. Der Poet isolierte seine Themen nicht, er verband sie – und rebellierte gegen alles. Adam Michnik, Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, bemerkte 1980 über Miłosz: „Sein gegen den polnischen Nationalismus und Kommunismus geführter Feldzug, seine Auseinandersetzung mit der Linken und dem katholischen Lager, sein Kampf gegen den Satan und seine Fehde mit Gott, all dies gleicht einem Gesamtgemälde Polens und polnischen Denkens.“

Der einst überzeugte Kommunist Kołakowski wiederum zeigte, wie man in Zeiten von Zensur selbige mit Witz ad absurdum führt. Er schrieb einfach in einer langen Liste auf, was Sozialismus (offiziell) nicht sei: Ein Staat, in dem man ohne Gerichtsprozess verurteilt wird; ein Staat, der Menschen zum Lügen zwingt; ein Staat, in dem die Bürokratie schneller wächst als die Arbeiterschaft... Aber eigentlich fand er den Sozialismus dann doch nicht so übel, wie er 1995 in Was vom Sozialismus bleibt schrieb – „schließlich haben sich sozialistische Werte mit liberalen verbunden und wurden im Rahmen demokratischer Marktwirtschaft verwirklicht.“ Liberalismus und freier Markt retten den Sozialismus – das ist die wahre Ironie real existierender Geschichte!

Kołakowski war ein undogmatischer, so humorvoller wie melancholischer Denker des Paradoxen und Hybriden – ein Denker, wie ihn unsere widersprüchliche Gegenwart erfordert. Er verquirlte Marxismus mit Metaphysik, lobte den Mythos als Korrektiv zur rational eingerichteten Gesellschaft, plädierte für „unproduktive und nichtutilistische Solidaritätsbindungen“, setzte sich aber auch ernsthaft mit Logik auseinander und stellte die wirklich wichtigen Fragen: „Ist Gott glücklich?“ Wer also Argumente gegen die heutigen phantasie- und geistlosen Nationalkonservativen im Sejm sucht, findet die besten in der polnischen Tradition selbst.

Aktuell knüpft der in Sydney lehrende polnische Rechtsphilosoph Wojciech Sadurski an das aufklärerische Erbe Polens an, wenn er in seinem Buch Poland’s Constitutional Breakdown (2019) die nationalkonservative Regierung für die Schleifung der Verfassung kritisiert. Man sollte daran erinnern, dass Polen 1791 die dritte moderne Verfassung der Welt verabschiedete, inklusive Gewaltenteilung und Religionsfreiheit. Vorstufen jener offenen Modernität findet man schon in der Renaissance. Das Rathaus von Posen etwa ist ein Fanal jenes Multireligiösen, ja Multikulturellen, das Polen als europäische Großmacht in Realunion mit Litauen (1569–1795) kennzeichnete. Das Gebäude im Renaissancestil wurde vom Tessiner Architekten Giovanni Battista di Quadro Mitte des 16. Jahrhunderts erbaut. Im Bogengang beherbergen Zwickel mythologisch-historische Figuren von Lucretia bis Kleopatra. Die Fassade zeigt Philosophen der griechisch-römischen Antike. Im Inneren befinden sich Wappen der Sforza und der Habsburger, ein venezianischer Globus aus dem Jahr 1688 zeugt ebenso von Internationalität wie Bilder exotischer Tiere in einer Kassettendecke. Die damalige Adelsdemokratie Polen war berühmt für religiöse Toleranz. An diese Tatsachen gilt es heute zu erinnern – nicht, um von Verfehlungen der Gegenwart abzulenken, sondern um aufzuzeigen, dass sich die Gegenwart mitunter aus einer Vergangenheit speist, die ihr voraus ist.