Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Kunst und Künstliche Intelligenz – Bleibt alles anders

Veröffentlicht am 18.03.2024

So disruptiv neue Technologien auch sein mögen, eines bleibt doch bei jeder technologischen Revolution beim Alten: Ihr Auftreten löst verlässlich Ängste aus, dass Technik dereinst Menschen ersetzen, ja ihnen überlegen sein könnte. Und nicht nur Ängste. Als "prometheische Scham" hat der Philosoph Günther Anders das Verhältnis moderner Menschen zur Technologie bezeichnet: Man schämt sich heimlich für die eigene Schwäche im Angesicht ewig kraftvoll pumpender Maschinen, schämt sich für den Schlaf, den man benötigt, während der Roboter munter weiter ackert, schämt sich für das wirre Flirren der eigenen Gedanken, dieweil Algorithmen konzentriert und geordnet ihren Dienst verrichten.

Neuerdings schämt man sich, weil die Künstliche Intelligenz (KI) im Stadium ihrer Marktreife immer mehr Menschen vor Augen führt, dass sie ganz ordentliche Texte schreiben, pläsierliche Songs komponieren und durchaus fantasievolle Bildwerke generieren kann – die vom Humanismus geheiligte, letzte Bastion der Menschheit, erbaut aus Geist, Sprache und Kreativität, scheint damit zu fallen. Zumindest sind die Elaborate der KI nicht besser oder schlechter als die eines durchschnittlichen Akademiekünstlers. Und sie werden ganz sicher noch besser werden. Bedeutet das, dass nicht nur der Autor tot ist, wie Geisteswissenschaftler schon in den 1960er Jahren raunten, sondern auch der Künstler? Mitnichten! Die Geschichte der Kunst nimmt vielmehr auf dialektische Weise an Fahrt auf.

Um 1850 erlebte die Welt, und damit Kunst und Kultur, einen ähnlichen Wandel wie heute. Auf dem ersten Höhepunkt der Industrialisierung lief beispielsweise das neue technische Medium der Fotografie der Malerei den Rang ab, was die getreuliche Wiedergabe der visuell wahrnehmbaren Welt betraf. Wie derzeit die KI spuckte sie in unerhört hoher Geschwindigkeit ihre Bilder aus. Daraus erfolgte jedoch nicht das viel beschworene "Ende der Malerei" oder gar das "Ende der Kunst". Im Gegenteil. Die Malerei wurde immer vielfältiger, experimenteller und avantgardistischer. Es galt ja, sich abzugrenzen von dem, was auf erwartbare Weise industriell herstellbar war. Dieser Wettbewerb zwischen Menschlichem und Maschinellem beflügelte die Kreativität, statt ihr ein Ende zu setzen. Analog dazu entstanden dort, wo die Maschinen immer mehr körperliche Arbeit übernahmen, immer vielfältigere und kreativere Formen von Sport, Training, Körperkultur. Und als industrielle Massenwaren zur Normalität wurden, kam mit Arts & Crafts eine Gegenbewegung auf, die das Authentische, Urwüchsige, Unperfekte, Handgemachte kultivierte – ein Schelm, wer da Parallelen zu heutigen Phänomenen wie Mikrobrauereien oder Slow Fashion zieht.

ChatGPT & Co. werden die Welt mit industrieller Massenware des Geistes überschwemmen wie die Fabriken die Welt seit langem mit industrieller Massenware des Körpers überschwemmen. Nur wer idealistischen Vorstellungen anhängt und Geist über Körper stellt, wird ersteres schlimmer finden als letzteres. Es gibt keinen Geist ohne Körper. Entscheidend ist, dass sich infolge der Industrialisierung des Geistes die pseudokreative Spreu vom kreativen Weizen trennt. Wenn wir ehrlich sind, haben viele Kunst- und Kulturschaffende seit jeher ähnlich gearbeitet wie heute die KI, nur eben langsamer und weniger ausdauernd: Sie haben überlegt, was am wahrscheinlichsten gelesen, gehört, gesehen wird, und das dann verfertigt. Wenn man so will, haben Menschen die Mechanismen der KI kopiert, noch bevor sie erfunden war. Die Geschichte der Kunst ist auch eine Geschichte voller berechnender Epigonen, Plagiatoren, Mitläufer und Karrieristen. Die überbordenden Pariser Salonausstellungen des 19. Jahrhunderts etwa nahmen die heutige Flut KI-produzierter Artefakte gleichsam vorweg – tonnenweise ordentlich gemachter, aber im Grunde verzichtbarer Kram. Bald wurde man dieser Massen müde und suchte das Besondere.

Damals wie heute gilt: Diejenigen, die immer schon abgekupfert und als Hofschranzen vor dem König der Berechenbarkeit gebuckelt haben, geraten durch die nicht-menschlichen, technologischen Mitbewerber ins Hintertreffen. Diejenigen aber, die sich immer schon die Mühe gemacht haben, eigenständig zu denken und eigensinnig zu gestalten, werden das servile Geschwafel der Algorithmen und ihre probabilistische Folklore zum Anlass nehmen, ihnen Neues entgegenzusetzen. Sie werden Technologie nicht als Feind begreifen, sondern als Sparringspartner. Das neue Neue muss dabei nicht in der Materialität der Dinge und Techniken begründet liegen. Es kann auch in der Art und Weise liegen, mit ihnen umzugehen.

Vom Mitbegründer der Konzeptkunst Marcel Duchamp ist die Anekdote überliefert, er habe eine Ausstellung neuester Flugmaschinen besucht und festgestellt, dass Maler eine solche Präzision nicht übertreffen können. Die Einsicht, dass Menschen mit den Maschinen und Programmen in spezifischen Hinsichten nicht mithalten können, führte in der Folge, nicht nur bei Duchamp, zu einer wahren Explosion der Kreativität in Gestalt neuer "Ismen" – Dadaismus, Surrealismus, Expressionismus, und immer so weiter. Eine ästhetische Trotzreaktion, wenn man so will. Dabei kam es zu einer raffinierten Umwertung der Werte. Duchamps Idee, mit seinem Konzept des "Ready-mades" Alltagsdinge zu Kunstwerken aufzuwerten, verwandelte in einem alchemistisch-ästhetischen Akt Banales in Originelles. Nun gut, die Idee hatte er sich nicht selbst ausgedacht, sondern von den Experimenten der Montmartre-Truppe "Arts Incohérents" in den 1880er Jahren abgekupfert. Aber das passte ja zur Originalität des Nicht-Originellen.

Die Künstlerin Elaine Sturtevant hob die Duchamp'sche Verklärung des Alltäglichen in der Nachkriegszeit auf eine neue Stufe, indem sie die Werke berühmter Künstler einfach noch einmal anfertigte und als eigene auswies: Die Wiederholung als Novum. Das ist ein zunächst einmal kontraintuitiver Gedanke, doch tatsächlich erzeugt Wiederholung unweigerlich Differenz, wie die Philosophen Deleuze und Guattari zeitgleich mit Sturtevant betonten. In diesem Sinne argumentiert auch der Künstler Kenneth Goldsmith in seinem Buch "Uncreative Writing" (2011), es gehe heute weniger denn je darum, Kunst "ex nihilo" zu erschaffen. So viel sei doch schon da! Die Autoren von heute seien nicht genialische Schöpfer, sondern gewitzte Manager digital verfügbarer, globalisierter Textmassen. Seine Studenten lässt Goldsmith wie Mönche Texte abschreiben statt neuerfinden. Originalitätsverbot! Aber genau das ist, zumal unter den Vorzeichen des heutigen Kreativitätsdrucks, doch recht originell.

Mensch und Technologie entwickeln sich in Form einer dialektischen Ko-Evolution. Sie stehen buchstäblich in "Konkurrenz" – das Lateinische "con-currerere" bedeutet "miteinander laufen". Es gibt kein paradiesisches "Außen" zu dieser Evolution und Konkurrenz; keine nicht-technologische Geschichte der Menschheit, ebensowenig wie es jemals eine nicht-menschliche Geschichte der Technologie geben wird. Vom gemeinsamen "Dance of Agency", dem Tanz der Handlung, spricht denn auch der Medientheoretiker Andrew Pickering mit Blick auf das Verhältnis von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen. Dieser Tanz hat mit der Etablierung der KI auf den Märkten noch einmal an Dynamik gewonnen. Dadurch werden weder Menschen im Allgemeinen noch Künstler im Speziellen überflüssig werden. Vielmehr wird es sich verhalten wie einst bei Duchamp: Die theoretische, aber mehr noch praktische Auseinandersetzung mit der Frage, was Kunst unter den neuen Bedingungen noch sein kann, sein darf, sein soll, wird selbst zur Kunst werden – so, wie das Wesen des Menschen nicht in einer überzeitlichen Essenz liegt, sondern nur in der gelebten Suche danach aufscheint, was dieses Wesen denn eigentlich ist.