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18. November 2024
In den von heiligem Ernst durchpulsten Diskussionen über den Genderstern scheinen die Fronten klar zu sein. Auf der einen Seite Progressive, die für eine gerechte, inklusive Welt einstehen und dafür selbst feinste Verästelungen der Sprache optimieren wollen. Auf der anderen Seite Konservative, die eine solche Welt verhindern wollen, trotzig am Alten festhalten, einen Geist des Reaktanten und Reaktionären verströmen. Durch strategisch geschickte gesetzte Framings wie «geschlechtergerechte Sprache» landen jedoch alle, die sich kritisch zu sprachpolitischen Massnahmen wie dem Genderstern äussern, automatisch im Lager der Ungerechten. Wie könnte man denn bei klarem Verstand irgendetwas gegen das Gerechte einzuwenden haben? Doch Kritik am Genderstern muss nicht zwingend ungerecht, reaktionär oder reaktant sein. Im Gegenteil – es gibt gute Gründe gegen den Genderstern, die gerade den menschenfreundlichen Anliegen, die seiner Einführung zugrunde liegen, verpflichtet sind. Um diese Gründe zu verstehen, muss man den Genderstern einer Feinanalyse unterziehen, anstatt ihn reflexhaft als Ausdruck einer Weltanschauung zu deuten. Dann wird man starke Indizien dafür finden, dass er das Gegenteil dessen, was er eigentlich leisten soll, leistet. Mit der Einfügung des Gendersterns in eine Sequenz von Buchstaben werden Wörter unfreiwillig zu dualistischen Symbolen: Die Buchstaben des Alphabets einerseits, Sonderzeichen andererseits. Denn innerhalb eines einzelnen Wortes, so will es unser Sprachsystem, tauchen keine anderen Zeichen auf als eben Buchstaben, die mit Hilfe von grammatischen Regeln arrangiert werden. Sonderzeichen wie Apostrophen oder Ellipsen sind keine Ausnahme, wie mitunter behauptet wird. Vielmehr markieren sie Auslassungen von Buchstaben, sind also blosse Platzhalter. Der Genderstern wiederum ist weder Buchstabe noch folgt er grammatischen Regeln. Als mögliche Abstraktion eines Sternes hat er Züge dessen, was der Bildwissenschaftler Klaus Sachs-Hombach «wahrnehmungsnahes Zeichen» nennt. Er steht vereinsamt sowohl ausserhalb des Alphabets als auch der Grammatik. So bewirkt er als solitäres Einsprengsel ungewollt etwas anderes als das, was er bewirken soll: die Bezeichneten dadurch, dass sie «in der Sprache sichtbar gemacht werden», zu normalisieren. Lässt man sich für einen Moment auf den bei Befürwortern und Gegnern genderzentrierter Sprachpolitik weit verbreiteten Glauben ein, die Sprache spiegele mitsamt dem grammatischen Geschlecht (Genus) nicht nur das soziale oder biologische Geschlecht, sondern auch die real zwischen ihnen existierenden Machtverhältnisse, dann entsteht durch den Genderstern ein irreführendes Bild: In einem durch den Stern in zwei Hälften gespaltenen Wort werden Männliches (links) und Weibliches (rechts) durch Buchstaben repräsentiert, die, nun ja – «Anderen» indes durch ein Sonderzeichen. So besteht die Gefahr, dass der Genderstern sprachpolitischem Othering Vorschub leistet. Dabei gälte es doch, inter-, trans-, diversgeschlechtliche Personen nicht als «die Anderen» zu sehen! Das Sonderzeichen des Gendersterns unterscheidet sich von den Buchstaben zusätzlich durch seine Position. Es schwebt über einer Lücke zwischen den auseinandergerückten Polen von Männlichem und dem weit rechts abgeschlagenen Weiblichen. Durch die vertikale Entrückung und die entstandene Kluft wird die traditionell angenommene Polarität von Männlichem und Weiblichem noch verstärkt – auch das entgegen der eigentlichen Absicht. Schreibt man «Basketballerinnen» oder «BasketballerInnen», so ergibt das ein Kontinuum zwischen männlich und weiblich, egal ob man dieses biologisch, sozial und/oder grammatisch versteht. Das eine geht bruchlos ins andere über, wie es in Natur und Kultur ja der Fall ist. Nur aus reproduktionsbiologischer Sicht gibt es (bislang) einen wesenhaften Unterschied zwischen Mann und Frau, die restlichen Unterschiede sind gradueller Art im statistischen Mittel: mehr Testosteron, weniger Testosteron, stärkere Gesichtsbehaarung, schwächere Gesichtsbehaarung, diese Berufswahl, jene Berufswahl, diese Lebenserwartung, jene Lebenserwartung, und so weiter. Am Ende steht dann doch ein Individuum. Schreibt man hingegen «Basketballer*innen», bricht der Genderstern dieses Kontinuum auf. Im Übrigen ändert er nichts daran, dass die weibliche Form, etwa «BasketballerInnen», von der männlichen Form abgeleitet ist und letztere stolz vorne steht. So ist es auch mit dem vorgeblich neutralisierenden Diminutiv «Gendersternchen». Das Sternchen ist und bleibt ein Derivat von «dem Stern». Im Verbalsprachlichen ist es noch heikler als im Schriftsprachlichen. Da dem Genderstern anders als den Buchstaben kein Laut zugeordnet ist, werden die mit ihm Repräsentierten zur phonetischen Leerstelle. Das männliche Geschlecht wird ausgesprochen, das weibliche Geschlecht wird ausgesprochen, das dritte oder xte aber nicht? Diese Diskrepanz, diese Asymmetrie kann niemand ernsthaft wollen. Varianten wie der in die Lücke eingefügte, ebenfalls als Marker der Geschlechtervielfalt gedachte Doppelpunkt (:) wiederum sind oft unfreiwillig komisch: Ausgerechnet eine binär strukturierte Interpunktion soll das binäre Geschlechterdenken aufbrechen? Der Schrägstrich (/) errichtet unterdessen eine windschiefe Mauer zwischen Hans und Hedwig. Mit dem bescheideneren, bodenständigeren Unterstrich (_), der sich mit etwas gutem Willen als Fusspfad oder flache Brücke deuten lässt, könnte man eher leben. Allein, auch er ist und bleibt ein Sonderzeichen ohne klangliche Dimension. Was sind die Alternativen? Am einfachsten fährt man mit dem «generischen Maskulinum», insofern es etabliert ist und die aussersprachlichen Geschlechterverhältnisse nicht «spiegelt», wie das mechanistische Denken aktueller Sprachpolitik als Prämisse voraussetzt, sondern in ambivalentem, ja ironischem Verhältnis zu ihnen steht. Wäre Grammatik tatsächlich ein «Spiegel» der Verhältnisse, müssten Sprachen ohne Genus, etwa das Japanische oder Türkische, das Spiegelbild geschlechtsloser, vollendet egalitärer oder queerer Gesellschaften sein. Die entsprechenden Sprachräume belegen, dass dem nicht so ist. Warum gilt im Judentum gesellschaftlich das matrilineare Prinzip, im Hebräischen aber das generische Maskulinum? Und warum haben matriarchale Gesellschaften in der Grammatik ihrer Sprachen kein generisches Femininum ausgeprägt, sondern die privilegierte Stellung der Frau auf andere Weisen betont? Damit ist die Prämissse hinfällig. Man kann nicht einfach, wenn es den eigenen politischen Zielen nützt, im einen Fall behaupten, Grammatik spiegle die Gesellschaft, und im anderen Fall, wenn es besagten Zielen nicht nützt, behaupten, da verhalte es sich halt irgendwie anders. Das generische Maskulinum hat den Vorteil, dass es weder die Binarität wiederauferstehen lässt wie in «Zuschauerinnen und Zuschauer», noch wie der Genderstern unfreiwillig Drittgeschlechtliche oder sonstige Gemeinte exotisiert. Dort, wo es juristisch geboten ist, lässt sich mit wenigen Zusatzangaben vereindeutigen, wer alles gemeint ist. Und dort wo im Alltag tatsächlich Missverständnisse entstehen können, gibt es längst mannigfaltige Formen der Klärung und Kontextualisierung. Die beste, weil salomonischste Lösung bietet indes das nominalisierte Partizip. Es ist wie das generische Maskulinum längst etabliert und eignet sich sowohl für die Kommunikation am Hofe der Behörden als auch für zwanglosen Austausch im Alltag. Formulierungen wie «Studierende» oder «Bewohnende» mögen ungewohnt klingen, aber Gewohnheit ist kein gutes Argument. Grammatikalisch sind sie unproblematisch und vor allem: Sie verstärken nicht den Trend zur Aufspaltung in immer mehr Gruppenidentitäten, die von Kulturkämpfern und Populisten gegeneinander ausgespielt werden können. Darin liegt die Gefahr der Identitätsakzentuierung, zumal wenn sie behördial kodifiziert und verordnet ist. Gruppenbezogene Identität ist traditionell ein Fetisch von Rechten, die sich die Menschheit wie Tierarten im Zoo vorstellen: Eine jede im eigenen Gehege. Erst seit den 1970er Jahren gibt es dezidiert linke «Identitätspolitik». Im nominalisierten Partizip bleibt die geschlechtliche Identität unbestimmt. So läuft man weniger Gefahr, unsere in Wahrheit dynamischen, mehrdeutigen Identitäten ungewollt zu verfestigen, zu vereindeutigen und in sprachlichen Stein zu meisseln. Wo sie präzisiert werden sollen, können sie präzisiert werden. Und meist ergibt sich aus dem Kontext, was Sache ist. Nach allem, was man so hört, ist davon auszugehen, dass in der Stadt Zürich nicht nur Frauen leben. «Bewohnende der Stadt Zürich» passt also. Und wenn von «Wählenden» die Rede ist, dürfte den meisten klar sein, dass bei der Wahl nicht die Voten der männlichen Zwölfjährigen das Zünglein an der Waage waren. Ein weiterer Vorteil des nominalisierten Partizips ist, dass nicht mehr, wie beim Genderstern, das Männliche mit breiter Brust vorne steht und dann «der Rest» als Anhängsel oder, wie es in der sprachpolitischen Literatur über den Gender Gap mitunter so unschön heisst, «Platzhalter» folgt. Es werden nämlich keine maskulinen Ausgangsformen verändert, sondern gleichsam queere Adjektive und Verben. «Studierende» kommen von «studieren», ohne Umweg über «den Studenten». Dass sich das Partizip, wie oft moniert wird, nur auf Personen beziehe, die im Moment des Sprechakts eine Handlung ausführen, aber nicht für wiederkehrende oder habituelle Handlungen, stimmt nicht. «Vorstandsvorsitzende» müssen, gottlob, nicht immer vorstandsvorsitzen, auch «Abgeordnete» gehen manchmal Bowling spielen, «Betagte» können ihr Betagtsein leider nicht unterbrechen, «Alleinerziehende» sind selbige auch dann noch, wenn das Kind im Bett ist, und selbst «Diversitybeauftragte», so munkelt man, sind nicht rund um die Uhr divers. Ob sich die Stadt Zürich bei ihrer sprachpolitischen Selbstoptimierung wohl für eine salomonische Lösung entscheidet oder für eine, die uns, die wir schon tief im Kaninchenloch der Identitarisierung stecken, noch stärker mit dem belastet, was der kluge Kunsthistoriker Kobena Mercer die «Bürde der Repräsentation» nannte?
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