Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Politische Korrektheit – Ein Differenzierungsversuch. Exzerpte aus meinem Essay für den Schweizer Monat, Nr 1055, April 2018.

Veröffentlicht am 08.04.2018

"'Politische Korrektheit' ist zu einem ideologischen Kampfbegriff geworden. […] Passt etwas nicht ins eigene Weltbild, fühlt sich etwas nicht richtig an, bereitet etwas gar Verständnisschwierigkeiten, ruft man empört 'Das ist doch wieder nur der Tugendterror der politischen Korrektheit!' Die Diskussion ist damit oft beendet, denn die Fremdzuschreibung geht ins Leere: Kaum jemand bezeichnet sich hierzulande selbst als 'politisch korrekt'. Zum 'Politisch Korrekten' wird man abgestempelt."

"Die Idee von 'politischer Korrektheit' geht auf die Neue Linke der 1970er Jahre zurück. Damals wurde der Begriff zum einen verwendet, um Personen zu kritisieren, die andere, insbesondere Angehörige von Minderheiten, ausgrenzen, stigmatisieren, diskriminieren oder auf sonstige Weise benachteiligen. 'Politische Korrektheit' sollte … daran erinnern, dass universelle Gerechtigkeit längst nicht erreicht sei. Entsprechend wurde unter anderem der Kanon an Hochschulen einer teils längst überfälligen Kritik unterzogen. Es galt, die real existierende pluralistische Gesellschaft auch in Lehrplänen sichtbar zu machen. Zum anderen wurde 'politisch korrekt' selbstironisch auf die Dogmatiker in den eigenen Reihen bezogen. Mitnichten verhielt es sich demnach so, dass linksprogressive Parteien und Gruppierungen nicht zur Selbstkritik fähig wären. Genau das wird seit den 1980er und verstärkt im neuen Jahrtausend seitens konservativer Revolutionäre mantramässig behauptet."

"Anders verhält es sich mit aktivistischen, meist aus akademischen Milieus stammenden Strömungen, die derzeit primär damit beschäftigt sind, Ideen von Reinheit, authentischer Identität und Ausgrenzung des politischen Gegners ('No Platform') zu propagieren. Oft sind sie bestrebt, die in weiten Teilen hybriden, bewusst diffus gehaltenen Theorien der 'Critical Studies' in konkrete politische Handlungen zu übersetzen – der platonische Philosophenkönig lässt grüssen."

"Wer nur über, nicht aber mit den 'Anderen' spricht, erzielt einen geringen Erkenntnisgewinn. Aus den eigenen Peer Groups erhält man vorwiegend Bestätigung. Ganz anders sah das aus, als Hannah Arendt in den 1950er Jahren mit dem als konservativ geltenden politischen Philosophen Eric Voegelin über die Ursprünge des Totalitarismus korrespondierte. Oder als Martin Luther King 1960 öffentlich mit dem Verfechter der Rassentrennung James J. Kilpatrick debattierte. Oder als Theodor W. Adorno 1965 mit dem früheren NSDAP-Mann Arnold Gehlen im Fernsehen auftrat. In allen Fällen handelte es sich um intensive Gespräche mit politischer Sprengkraft. Dennoch verliefen sie ruhig, konzentriert und fokussiert. Das hatte nichts mit unseren heutigen überhitzten, den Diskurs pervertierenden Polit-Talkshows gemein. Nicht von ungefähr tragen diese Namen wie 'Arena'."

"Arendt, King und Adorno bezeichneten sich nicht als 'politisch korrekt'. Sie vermittelten mit kluger Dialektik zwischen moderaten und radikalen Kräften sowie zwischen unterschiedlichen politischen Milieus. Ihnen war bewusst, dass in jedem Mittel bereits ein politischer Zweck impliziert ist. Jedes noch so redliche Ziel wird diskreditiert, wenn die Mittel zu seiner Erreichung unredlich sind. Umso schlimmer ist es, dass exklusionistische, partikularistische Mentalitäten heute wieder Konjunktur haben und das liberaldemokratische, friedliche Zusammenwachsen der Gesellschaft gefährden. An den politischen Polen ist dies ein alter Hut. Hier wir, dort die Anderen. Wir die Guten, sie die Bösen. Wir die Opfer, sie die Täter. Wir das (Kultur-)Volk, sie die Barbaren. Jede progressive Bewegung tut gut daran, diese Muster nicht einmal im Ansatz zu reproduzieren. Es mehren sich die Zeichen, dass genau diese Einsicht ins Hintertreffen gerät."

"Müsste Politische Korrektheit nicht den Identitätsfetischismus bekämpfen, statt ihn durch die Schaffung immer neuer Identitätskategorien zu intensivieren und Menschen ex cathedra in Kollektivsingularen zu kasernieren? Während die Rechte von einer 'linksgrünversifften' Verschwörung phantasiert – und dabei ausblendet, wie bürgerlich-spiessig die vermeintlichen 'Linken' und 'Grünen' längst sind –, hat sich in linksprogressiven Kreisen die Rede von 'alten, weissen Männern' breit gemacht. Diese bilden offenbar eine verschworene Truppe und unterdrücken alles, was nicht alt, weiss, männlich ist, mit vereinten Kräften. Die Übergänge zwischen gefühlter und faktischer Unterdrückung sind dabei fliessend. Gebraucht die Rechte 'politisch korrekt!' als Keule, so nutzen manche linksprogressive Aktivisten den 'Alt-weiss-männlich-' oder 'Mansplaining'-Vorwurf, um Diskurse abzuwürgen. Wie aber könnte man einen deutschen Nationalsozialisten und einen polnischen Widerstandskämpfer aus dem Zweiten Weltkrieg in denselben Alte-weisse-Männer-Topf werfen? Was hat der Vorkämpfer für Frauenrechte John Stuart Mill mit der Misogynie eines Arthur Schopenhauer zu tun? Ist es möglich, Argumente als eindeutig 'männlich' zu labeln und damit als 'Mansplaining' abzutun? Gerade in der 'Multioptionsgesellschaft' (Peter Gross) kommt man nicht umhin, sich mit konkreten Menschen zu befassen anstatt mit den vermeintlichen Bewohnern von Identitätskasernen."

"Im Sinne von John Rawls sollten in den öffentlichen Diskurs nur solche Argumente eingebracht werden, die tatsächlich dazu beitragen, ein geordnetes politisches Gemeinwesen zu generieren und die öffentliche Vernunft zu stärken. Ob die Argumente islamischen, christlichen oder atheistischen; linken, rechten oder liberalen; ökologischen, ökonomischen oder politischen Ursprungs sind, ist sekundär. Wichtig ist, dass die jeweiligen Protagonisten bereit sind, ihre Weltanschauungen zu segmentieren und zu relativieren, um sie im freien Dialog mit Anderen, im Hinblick auf allgemeine Gerechtigkeit, weiter zu entwickeln. Wer das nicht kann oder will, hat in offenen Gesellschaften nichts verloren."

Den ganzen Text gibt's hier (kostenpflichtig).