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Fit Follows Function & Sich in Fleisch hauen

Veröffentlicht am 26.08.2018

Im Tagungsband "Kraft, Körper und Geschlecht" (Lehmanns Media 2018, hrsg. von Franz Bockrath & Kathrin Schulz) sind zwei sportwissenschaftliche Aufsätze von mir erschienen: "Fit Follows Function" (eine Kritik des Functional Trainings) & "Sich in Fleisch hauen" (zur Ästhetik des Bodybuildings). Hier gibt's ein paar Exzerpte.

1. Fit Follows Function.

Wie Functional Training den Sozialstaat der Maschinen bekämpft und den Gott des Eisens tötete. Eine Kulturkritik frei nach Günther Anders: Übertreibung in Richtung Wissenschaft.

"In Zeiten von Flexibilisierung und Prekarisierung, aber auch von back to the roots und Sehnsucht nach 'Normalität' sind andere Körper, sind andere Trainingsformen gefragt – Trainingsformen, die an das 'unternehmerische Selbst' (Bröckling 2007) appellieren und zu einer Kultur beweglicher, agiler, alerter Subjekte beitragen. Diese sollen einerseits – anders als beispielsweise groteske, monströse Hardcore-Bodybuilder – 'natürlich' und 'normal' wirken, und sich andererseits in den granularen, dynamischen Verhältnissen des Hightechzeitalters möglichst reibungslos zurechtfinden. So sollen sie beispielsweise nicht auf Fitnesscenter und Geräte angewiesen sein, sondern überall, ob im Büro, im öffentlichen Raum oder zuhause, durch variantenreiche, auf den jeweiligen Kontext oder die jeweilige Situation angepasste Übungen geformt werden können."

"Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Functional-Trainings-Welle und den maschinengestützten Körperkulturen der Postmoderne liegt darin, dass sich die neue Körperkultur nicht mehr an fordistischen Routinen und generalstabsmäßiger Planung orientiert. Nicht Fitness für die Fabrik, sondern Fitness für Multioptionalität in hybriden Kontexten ist gefragt. Nicht das schwerfällige und träge Bodybuilding, sondern erst das wendige Functional Training entspricht 'Fitness' wie sie Zygmunt Bauman definiert."

"Herkömmliches Maschinentraining sei, so der Tenor der Funktionsadepten, routineanfällig, unnatürlich und ineffizient, was die Ausbildung brauchbaren Körpervermögens anbelange. Mal wird Functional Training auf einem Blog als 'abwechslungsreich' und 'spannend' gelobt (Tomek Sports 2015), mal präsentiert sich der Functional Trainer Till Sukopp im Interview als 'Aufklärer', der 'Fitness effizienter gestalten' möchte, trainiere man an Geräten doch 'an der Natur vorbei' und vernachlässige den 'Körper als Einheit'. Es gälte, den Körper dahin zu bringen, 'sich selbst zu stabilisieren' (Bluhm 2015).

"Functional Training wirft die Trainierenden gezielt auf sich selbst zurück, was, diese gegenwartsdiagnostische Banalität sei gestattet, bestens zum neoliberalen Zeitgeist passt. Die scheinheiligen Maschinen waren ein widerwärtiger Sozialstaat! Sie biederten sich an, halfen uns, führten uns, nahmen uns die Arbeit ab; taten all dies aber nur, damit wir nicht länger in der Lage waren, uns unserer Körper ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Mit diesem Feudalismus ist im Functional Training Schluss. Habe Mut, dich deines eigenen Körpers zu bedienen! ist also der Wahlspruch des Functional Training."

 

2. Sich in Fleisch hauen. Ethik und Ästhetik im Bodybuilding.

"Was dem einen als zwanghaft erscheint, mag die andere als ernsthaft und verbindlich werten. Was die eine als übertrieben darstellt, erscheint dem anderen als Gegenpol zum Diktat des Mittelmäßigen und Scheinheiligen. Einig werden sich jedoch alle darin sein, dass Bodybuilding, wie immer man es auch werten mag, ein genuiner Lebensstil ist. Zu einem Lebensstil gehören spezifische ästhetische Codes, aber auch Rituale, Verhaltensweisen oder Tabus – 'Sitten', wenn man so will. Alleine in dieser Hinsicht beinhaltet Bodybuilding viele ethische Aspekte, von tabuisierten Speisen über Trainingsrituale bis hin zu klaren ästhetischen Normen."

"[Ich sehe] im Bodybuilding eine Weiterentwicklung des neuzeitlichen prometheischen Individuums und des modernen Mythos vom Self-made man … Die Grundintuition des Bodybuildings besteht darin, dass es allen oder zumindest fast allen Menschen möglich ist, ihre Körper und damit implizit ihren Geist zu transformieren, und manchen sogar, sich einen Super-Körper, einen schier überirdischen Körper zu erarbeiten – einen, wie ihn die christliche Religion ihren Klienten für die Zeit nach dem Tode versprochen hatte, nämlich einen vollkommen vergeistigten, weil durchgeformten Körper. Im aristotelischen Sinne ist die Form der dem Geist nächste Aspekt der materiellen Kultur. Bodybuilder sind somit keine rohen Fleischberge, sie sind Formfleisch. Wie originell die dabei erzeugten Selbstbilder und Selbststatuen sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Ich würde sagen: Genauso originell wie ein Gemälde von Mark Rothko oder Ellsworth Kelly."

"Wettkampfsport verficht nur insofern eine 'Ethik des Unterlassens', als er den Ernstfall, also die tatsächliche, die finale Ausschaltung des Gegners, für gewöhnlich untersagt. Vergleicht man herkömmlichen Wettkampfsport jedoch mit einem Post-Sport, Meta-Sport (Scheller 2016: 23–34) oder 'nicht-sportlichem Sport' (Dietrich & Heinemann 1989: 11–28) wie dem Bodybuilding … so wird deutlich, was eine wirkliche 'Ethik des Unterlassens' ist. […] [Bodybuilder] schießen nicht, sie prügeln nicht, sie holen sich keine blutigen Nasen oder zersplitterte Knöchel, sie malträtieren weder Ponys noch Pferde, sie dreschen keine Bälle in viel zu hoch hängende Körbe, sie stoßen weder unschuldige Kugeln von sich noch zerpflügen sie arglose Rasenflächen. Bodybuilding ist Peace Keeping. Narzissmus und Pazifismus sind in diesem speziellen Fall die zwei Seiten einer Medaille. Bodybuilder sind die Blauhelmsoldaten unter den Körperkriegern, insofern sie keinen Kampfauftrag haben, sich jedoch im Ernstfall vermöge ihrer Muskelmassen zumindest durch Abschreckung verteidigen könnten."

"Mit seiner puristischen, nur dem inhärenten Potential des Mediums Körper verpflichteten Ästhetik steht Bodybuilding in einer untergründigen Verwandtschaft mit vielen künstlerischen Avantgarden seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, deren verbindendes Merkmal trotz divergierender ideologischer Positionen darin bestand, den Vorstellungen bürgerlicher Normalität zu entsagen, das Neue, Radikale, Reine und Absolute anzustreben und eine Außenseiterposition einzunehmen, um von dieser aus um so intensiver auf das Leben einwirken zu können."

"Mit dem Kunsttheoretiker Clement Greenberg gesprochen, schließen die nur mit einem Posing-Slip oder einem Bikini bekleideten postmodernen Bodybuilder 'die literarischen Effekte' und das 'Sujet', das in der Mythos- und Kostümära [der Körperkultur] noch tonangebend war, aus ihrer Praxis aus (Greenberg 1997: 59–60). Sie performen, in den Worten des Kunsthistorikers Charles Harrison, die 'Selbstgenügsamkeit der künstlerischen Form' (Harrison 2001: 47). Das autoplastische Kunstwerk im Bodybuilding impliziert … eine Bejahung des Mediums, wie Greenberg sie mit Blick auf formalistische Kunst verlangt."

"In ihrem Streben nach Erhabenheit und Distinktion knüpfen Bodybuilder an die Sehnsucht nach Reinheit, Absolutheit und Selbstreferenz der modernistisch-avantgardistischen Künste an – ohne es zu wissen oder geplant zu haben."

Link zum Buch: https://www.lehmanns.de/shop/geisteswissenschaften/43397157-9783865419675-kraft-koerper-und-geschlecht