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Exzerpt aus meinem Essay "Technik Traum Natur"

Veröffentlicht am 21.12.2017

"Weil die Technik das Leben in einen Traum zweiter Ordnung verwandelt, weil digital erzeugte und endlos transformierbare Bilder den Fähigkeiten menschlicher Imagination immer näher rücken, ist jede Gegenwartsdeutung nun in gewisser Hinsicht Traumdeutung. Und wie der Traum den Willen, das Vermögen, die Kontrolle des Menschen übersteigt, so übersteigt die Technik nun letztere. Günther Anders sprach schon in den 1950er Jahren von der 'prometheischen Scham', die moderne Menschen angesichts der von ihnen erschaffenen und sie nun überflügelnden Technik verspürten: ''Wer bin ich schon?', fragt der Prometheus von heute, der Hofzwerg seines eigenen Maschinenparks, 'wer bin ich schon?''[1]

Damit schliesst sich der Kreis zu Nietzsche. In den Unzeitgemäßen Betrachtungen stellte der Philosoph fest, dass jede siegende zweite Natur zu einer ersten werde.[2] Das Kompositum 'Bilderflut' deutet implizit auf diese Bewegung hin, insofern es 'Bilder' (Kultur, Technik) und 'Flut' (Natur) unmittelbar aufeinander bezieht.

In seinem Buch The Nature of Technology schreibt der Komplexitätstheoretiker W. Brian Arthur: 'And so we are caught between two huge and unconscious forces: Our deepest hope as humans lies in technology; but our deepest trust lies in nature.'[3] Der Zwischenraum zwischen diesen Polen aber wird kleiner, ja sie durchdringen einander zunehmend. So entsteht, wie Arthur in Anlehnung an Robert Venturi argumentiert, ein hybrider 'richness of meaning' (Bedeutungsreichtum) und eine 'messy vitality' (schmutzige Vitalität) – eine Vitalität, die der modernen Sehnsucht nach 'pure order' (reiner Ordnung) Lebewohl sagt. Und damit auch einem Ideal, das sich am Wachzustand orientierte.

In ihren wesentlichen Formen hatte die westliche Moderne zwischen Wachen und Schlafen getrennt, nicht zuletzt in geopolitischer Hinsicht – im 16. Jahrhundert wurde die Personifikation Amerikas als schlafende Frau in einer Hängematte dargestellt. Ihr gegenüber stand der mit allerlei technischem und militärischem Gerät ausgestattete, männliche Europäer, der sie aus ihrem indigenen Schlummer weckte. Unsere multipolare, schmutzig-vitale Gegenwart hingegen ist in einen ambivalenteren Zustand eingetreten: in den Halbschlaf."

Ganzer Text erschienen in: Kanton Bern (Hg.), Tamara Janes: Halbschlaf, Heidelberg/Berlin: Kehrer Verlag, 2017


[1] W. Brian Arthur, The Nature of Technology. What it is and how it evolves, London: Penguin Books/Allen Lane, 2009, e-book.

[2] Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: C.H. Beck, 2010, S. 25.

[3] Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen II, in: Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hgg.), Friedrich Nietzsche. Die Geburt der Tragödie, Unzeitgemäße Betrachtungen. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Berlin/New York/München: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter, 1999, S. 270.