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Die Grenzen der Gemeinschaft

Veröffentlicht am 29.09.2019

Einige Bemerkungen über die pauschalisierende und reflexhafte Verwendung von Begriffen wie "Kollaboration", "Interaktion" und "Partizipation" an Kunsthochschulen

Kürzlich tat ich, was Hochschuldozenten so tun – ich besuchte eine Konferenz. Was mich an Konferenzen im Kunstbereich immer irritiert: Die meist litaneiartige, ausschliesslich positive Verwendung von Begriffen wie "collaboration", "interaction", "participation", "exchange", "community", "dialogue" etc. So auch dieses Mal.

Zum einen handelt sich bei den genannten Sprechakten meist um ein "preaching to the converted". Die Anwesenden sind in aller Regel überwiegend progressiv eingestellt. Sich gegenseitig zu versichern, dass man nicht mehr dem Geniekult der Moderne oder dem Bild des isolierten romantischen Antihelden frönt; dass man Austausch und Vielfalt anstrebt; dass man nicht einfach nur dekretiert, ist insofern redundant. Grundsätzlich sind immer dann, wenn Begriffe primär als Elemente von Bekräftigungsformeln zirkulieren, Vorsicht und kritisches Hinterfragen angebracht.

Zum anderen erinnert der Gebrauch der Begriffe, unabhängig vom Inhalt, an Marketing- und Politiksprech. Die Kernaufgabe von Hochschulen besteht aber nicht darin, für ein prästabiliertes Verständnis des Guten und des Wahren zu werben, sondern mit offenem Blick alles zu problematisieren und zu kritisieren, auf dass Gutes und Wahres, aber mehr noch Gerechtes entstehen können; auf dass möglichst wenige blinde Flecke bestehen bleiben; auf dass kritische Energie nicht in die Konservierung von Positionen, sondern in deren Weiterentwicklung und Verbesserung fliesst.

Keiner der oben aufgeführten Begriffe ist selbsterklärend oder von eindeutiger moralischer Qualität. So ist es zum Beispiel fraglich, ob Studiengänge, die auf Vergemeinschaftung, Interaktion und grundsätzlich auf intensivierte Gruppenkommunikation setzen, für Introvertierte das richtige Umfeld bieten. Introvertierte sind oft kreative und reflektierte Menschen, die Rückzugsräume benötigen und unter der Verdichtung des Sozialen leiden.

Weiterhin muss immer spezifiziert werden, welche Formen der "Kollaboration", der "Partizipation" und des "Austauschs" denn eigentlich gemeint sind. Alle diese Formen des Sozialen können auch zu Observanz und Kontrolle, und damit zur Einschränkung von Freiheit dienen. Auch könnte man sie als Gegenstück dessen deuten, was die Soziologin Eva Illouz als "kommunikative Ethik" im sich wandelnden Kapitalismus des 20. Jahrhunderts beschreibt: "Soziologen haben sich so sehr daran gewöhnt, 'Kommunikation' mit Habermas in Verbindung zu bringen, daß sie vergessen haben, in welchem Maße die Idee und das kulturelle Ideal der Kommunikation bereits seit Jahrzehnten in der Management-Literatur kursierte" (aus: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus). Unter bestimmten Umständen können Kommunikation, Kollaboration, Austausch auch dazu beitragen, dass mutige, eigensinnige künstlerische Ideen erstickt oder verwässert werden, weil sie im interagierenden, kommunizierenden, partizipierenden Kollektiv keine Akzeptanz finden. Es hat schon seine Gründe, warum Hewlett Packard dem Innovator Steve Wozniak weiland ein Einzelbüro gewährte und ihn mehr oder weniger sich selbst überließ. Gerade solche Ideen, aber auch soziale Verhaltensweisen, für die es (zunächst) keine Mehrheit gibt, die als unziemlich, untragbar, unzeitgemäß, ja absurd, verletzend und empörend wirken, stellen sich auf lange Sicht womöglich als solche heraus, von denen die Mehrheit profitiert. Dass die Dadaisten trotz ihres Nihilismus zum Kernelement des Zürcher Stadtmarketings geworden sind oder Eigenbrötler wie Caspar David Friedrich heute Arbeitsplätze in der Postkartenindustrie sichern, müsste jenen, die für eine hyperkommunikative, stets nur das vorab festgelegte Gute meinende Kunst(ausbildung) werben, zu Denken geben.

Der mit dem "Social Turn" (Claire Bishop) einhergehenden Verkürzung des Kunstverständnisses sollte aus pluralistischer Sicht entgegnet werden, dass Kunst auch das "Feld einer Freiheit nicht im Sozialen, sondern vom Sozialen" (Christoph Menke) sein kann, sein darf, sein soll. Interaktion, Kollaboration, Partizipation, Kommunikation sind in gewissen Situationen, für gewisse Personen wichtig und richtig. Aber sie sind alles andere als alles – und vor allem kein Allheilmittel.