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Der Pfaul

Veröffentlicht am 03.06.2018

Evolutionsbiologische und -ästhetische Betrachtungen von Alan Maag und Jörg Scheller

Der Pfau ist ein ziemlich gewiefter Vogel. Wie sonst hätte er sein Federzeug so effektiv einsetzen können, um uns zu manipulieren? Die Pfauenfedern ergeben aus evolutionsbiologischer Sicht keinen Sinn. Sie machen den Vogel schwerfällig und damit angreifbar. Keine guten Voraussetzungen im Survival of the Fittest. Wir aber vermuten, dass der Pfau der herkömmlichen, doch eher hemdsärmeligen Evolution ein paar Tippelschritte voraus war – indem er auf die ästhetische Evolution setzte.

Anstatt sich durch Klauen, Zähne, Gift und Panzer vor Feinden zu schützen, verführt er sie. Wie das? Nun, da uns, seinem natürlich-kultürlichen Feind Mensch, der Pfau so überaus prächtig vorkommt, ja wie ein vom darwin'schen Himmel gefallenes Kunstwerk, weckt er in uns den Drang, ihn zu schützen, zu musealisieren, ihn in unversehrtem Zustand zu bewundern und zu kontemplieren. So verschafft sich der Pfau qua opulenten Selbstdesigns eine privilegierte Stellung in der wohl komfortabelsten Zone evolutionären Schutzes: dem Zoo.

Im Zoo kümmern sich andere um sein Wohlbefinden. Und im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren darf er sogar frei herumlaufen, gibt er sich doch als nahezu flugunfähig, aber mehr noch flugunwillig aus. Wenig verwunderlich, steckt dem Pfau das "faul" schon fast im Namen: Er lässt andere für sich evolutionieren.

Als weiteren, ebenso raffinierten Schutzmechanismus hat der Pfau eine Art teleevolutionäre Massnahme ersonnen. Lässt er einmal Federn, dann nicht (nur), um anwesende Pfauendamen zu bezirzen, sondern um die Kunde von seiner Schönheit in die ganze Welt – etwa durch den Wind – tragen zu lassen; auf dass ihm Parks und Paläste auf jedem Kontinent gebaut werden und sein Überleben auf ewig und überall gesichert sei. Vom Winde verwehte Pfauenfedern ähneln dahingehend Büchern, Bildern, Musikstücken: Sie vertreten die evolutionären Anliegen des Pfaus auch dort, wo seine Realpräsenz nicht gewährleistet ist.