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Wie ich begann, an der akademischen Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu zweifeln. Ein Tatsachen- und Tagungsbericht von der akademischen Front.

Veröffentlicht am 10.03.2018

Das Leben eines Vortragssöldners ist hart und steckt voller Gefahren. Angehenden GeisteswissenschaftlerInnen möge der vorliegende Text als Warnung dienen.

Im vergangenen Jahr landete ein Call for Papers für eine Konferenz in meinem Postfach. Thema: Pop und 1968, Veranstaltungsdatum: 1.–3. Februar 2018. Da musste ich natürlich mit dabei sein, zumal die Veranstaltung ausgerechnet an der Universität der Bundeswehr Hamburg, aka Helmut-Schmidt-Universität, stattfinden sollte. Eine aparte Kombination! Vor meinem inneren Auge formte sich alsogleich eine bizarre, akademisch-militärische Szenerie: Ein Spielmannszug der Bundeswehr trompetet Melodien von Eric Burdon, am Eingang flattert die Deutschland- neben der Regenbogenfahne, beim generalstabsmäßig organisierten Vortragsprogramm werden die Redezeiten aus Furcht vor den am Bühnenrand stationierten schnellen Eingreiftruppen endlich einmal beherzigt, konziliante Gefreite reichen Kaffee aus Vintage-Feldflaschen, usf. Flugs verfasste ich ein Paper mit dem martialisch-bürgerbewegten Titel "Sixty-Hate. Das Feedback der 68er im Heavy Metal" und reichte es im September ein. So nahm das Unheil seinen Lauf.

Nach einem Monat Funkstille und auf meine etwas irritierte Nachfrage hin erhielt ich eine Bestätigung, dass meine E-Mail tatsächlich eingetroffen sei. Doch erst zwei Monate später ereilte mich die frohe Botschaft, man habe das Paper angenommen – womit ich schon nicht mehr gerechnet und zwischenzeitlich eine Einladung an die Universität Mainz angenommen hatte, was zu einigen logistischen Kapriolen sowie dazu führte, dass ich nur an einem Tag des auf drei Tage angesetzten Events würde in Hamburg sein können. In den darauffolgenden Wochen versuchte ich, Auskünfte zur Einsatzdauer als Vortragender zu erhalten. Meine Feldpost versickerte offenbar in digitalen Schützengräben, wurde vielleicht aber auch vom Feind – Cyber-Milizen aus der Neuen Musik? – abgefangen. Auf alle Fälle blieb so manches im Ungewissen.

Irgendwann kurz vor dem Konferenztermin erreichte mich dann doch noch eine Depesche, die unter anderem eine buntscheckige Anfahrtsskizze enthielt – worum ich jedoch nicht gebeten hatte, war es mir doch nur darum zu tun, herauszufinden, wie lange ich mich über die Ästhetisierung und Atmosphärisierung bürger- und gegenbewegter Topoi bei Iron Maiden & Co. verbreiten sollte. So langsam dämmerte mir, dass die Misere mit den Kampfhubschraubern, Winterjacken und U-Booten auch die akademischen Heerestruppen erfasst haben könnte. Noch immer nicht wissend, wie lange ich eigentlich vortragen sollte und ob meine Fahrt- sowie Übernachtungskosten womöglich erstattet werden würden, reiste ich gleichwohl frisch, fromm, fröhlich, frei in den Norden.

Der Winterwind pfiff über den leeren Campus. Weit und breit kein Mensch, außer einer in der Kälte harrenden Germanistik-Studentin. Keine Fanfaren. Keine Parade. Keine Flaggen. Zum angesetzten Konferenzbeginn hatte sich zwar eine – konservativ geschätzt – Handvoll Menschen vor dem verschlossenen Gebäude eingefunden, doch die Veranstalter befanden sich nicht darunter. Waren sie etwa in einen Hinterhalt geraten und aufgerieben worden? Nein! Da erschienen sie ja gottlob kaffeebetasst und heiteren Gemüts, um die wartenden Frierenden – oder war es umgekehrt? – mit charmanter Verspätung, so popmäßig locker eben, zu begrüßen. Wenn schon die Akademiker der Helmut-Schmidt-Universität in Friedenszeiten unpünktlich sind, dachte ich mir, dann ist es wenig überraschend, dass der Westen bei geopolitischen Krisen oftmals zu spät reagiert. Aber wie dem auch sei! Nun war die Einheit ja da und es konnte losgehen. Wäre da nicht die Tür gewesen.

Vertreter unterschiedlicher universitärer Hierarchiestufen, vom wissenschaftlichen Mitarbeiter bis zum Professor, versuchten in einem so hitzigen wie erfolglosen Gefecht mit der Schließmechanik, sich Zutritt zum Tagungssaal zu verschaffen. Keiner der mitgeführten Schlüssel passte. Nach schweren energetischen Verlusten zogen sie sich zurück, griffen zum Feldtelefon und setzten einen Notruf ab. Die frierenden Wartenden – oder war es umgekehrt? – verfolgten das Geschehen gebannt. Da endlich! Rettung nahte. Aus den Tiefen des Gebäudes rückte ein Sondereinsatzkommando auf die renitente Tür vor. Mit einem Überraschungsangriff gelang es tatsächlich, sie zu öffnen. Erleichtert schob sich das Häufchen ins Innere.

Nun stand man vor der Herausforderung, die wenigen Gäste sinnvoll auf die zwei Vortragssäle zu verteilen. Um dem sich ausbreitenden Gefühl ozeanischer Verlorenheit entgegenzuwirken, hätte man sich eher auf einen beschränken und diesen vermittels Zwischenwänden noch verkleinern müssen. Schlussendlich sprach ich, nachdem ich den Beamer selbst in Gang gesetzt hatte, vor ganzen fünf Anwesenden und einem Moderator, dessen Einführungsanstrengungen sich auf den popmäßig lockeren Satz "so, herzlich willkommen, also, Jörg Scheller, ja bitte" beschränkten. Mehrere Vortragende waren gar nicht erst angereist, aufgrund Krankheit, wie es hieß; mir aber schien auch die Möglichkeit gegeben, dass sie im Vorfeld weniger duldsam waren als ich.

Nachdem der Männerbund der Konferenzorganisatoren dann auch noch beschlossen hatte, die Konferenz eiligst, wegen strategisch verlockender Zugverbindungen, vor den Gästen zu verlassen, war ich mir sicher: Um die akademische Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist es schlecht bestellt. Ursula von der Leyen, intervenieren Sie!