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„Was, wenn der Streit der Grund für unseren Fortschritt wäre?“ Irritation und Innovation am Beispiel der TV-Serie The Big Bang Theory und Ludwik Flecks Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Theorie

Veröffentlicht am 02.08.2017

Eben schlug ich das Mitgliedermagazin meiner Hausbank auf. Das Titelthema lautet: "Gemeinschaftlich. Mehr Miteinander bitte!" Im Editorial heisst es: "Gemeinschaftsgefühl steht derzeit hoch im Kurs. Das ist erfreulich. Aber gleichzeitig geht es auch wieder des Öfteren um die Abgrenzung von anderen Menschen, Staaten und Kulturen. […] Was sind Gemeinschaften, aus denen etwas Positives für alle erwächst?" Innovation, Gemeinwesen, Inklusion, Vertrauen, Brücken über Kontinente, gemeinschaftliches Tun und soziale Prozesse sind weitere – eindeutig positiv besetzte – Schlüsselbegriffe des Textes.

Nicht nur bei meiner Hausbank, auch in den Wissenschaften und in den Künsten spielen gemeinschaftliches Tun, Kooperation und Kollaboration – letzterer Begriff war vor allem im Deutschen bis vor kurzem noch negativ besetzt – aktuell eine zentrale Rolle. Begleitet wird diese Entwicklung von einem Lob der Empathie, also der Einfühlung und des Verständnisses. Unter Barack Obama erfuhr der Begriff in den USA eine starke Aufwertung, der Soziologe Jeremy Rifkin schrieb der Empathie in seinem Bestseller Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein(2010) nachgerade erlöserische Qualitäten zu. Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf der Hand. Viele Herausforderungen der rundumvernetzten, globalisierten, hybridisierten Gegenwart, beispielsweise in der Gesundheits- oder Geschlechterforschung, lassen sich nicht durch monodisziplinäre Ansätze meistern. So gilt etwa nicht mehr die Frage danach, wie die Gesellschaft das Gender prägt, sondern wie soziale und biologische Faktoren hierbei zusammenwirken, als erkenntnisleitend – willkommen in der Epigenetik. Ohne Verständnis für die Belange Anderer und Einfühlung in deren Gemütslagen geraten auch international und global aufgestellte Unternehmen ins Hintertreffen (das Konzept der "Glokalisierung" entstammt adaptiven ökonomischen Ansätzen aus Japan). In den Künsten wiederum ist die Kritik am Mythos des heroischen Einzelkämpferkünstlers der Moderne nach wie vor virulent. Auch möchten viele Artivisten – ein Kofferwort aus artist und activist – der Refeudalisierung des Kunstbetriebs entgegenwirken. Zusammenschlüsse wie das Berliner Agora Collective und Organisationen wie die Gulf Labor Artist Coalition sind die Folge.

Während es unbestritten ist, dass Kooperation und Kollaboration wie auch Partizipation wertvoll, ja oft unumgänglich sind, begegnet man doch mitunter, wie bei der Lektüre des erwähnten Bank-Magazins, einer allzu frohen Botschaft ob ihrer segensreichen Qualitäten. Manchmal scheint es, als führten Kooperation und Kollaboration fast unausweichlich zu mehr Harmonie, Verständnis, Respekt, Komplexitätskompetenz, Fortschritt, Innovation. Doch ist dies, um eine Gegen-Binse ins Feld zu führen, keineswegs automatisch der Fall. Komplexität kann frustrieren und eine Sehnsucht nach dem Einfachen wecken; intensiver Austausch kann zu Stress führen und zur Gegenreaktion der Abschottung führen, usf.

Was die Innovation betrifft, so speist sie sich vielleicht gerade nicht aus denjenigen Formen des Zusammenarbeitens, welche vom Ideal eines sinnvollen, glücklichen, einfühlsamen, produktiven Miteinanders überformt werden. Innovation, so die hier vertretene These, basiert eher auf der Bereitschaft und dem Willen zu Irritation, Streit, Unvorhersehbarem und Emergenz als auf dem Verlangen nach einer harmonischen Ökumene, deren Resultate – Innovation! Verständigung! bessere Welt! – bereits im voraus festgelegt wurden.

Ganzer Text auf: www.merkur-zeitschrift.de