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Trouvaille aus meinem Archiv: Interview mit Jusup Wilkosz, 2007

Veröffentlicht am 09.09.2016

Beim Aufräumen meiner Festplatte stieß ich auf das Transkript eines Interviews mit dem Ex-Bodybuilding-Meister Jusup Wilkosz. In den Jahren 2006/2007 trainierte ich mit Jusup in der Stuttgarter Move Factory, als er sich an einem Comeback versuchte, und veröffentlichte ein paar Artikel über ihn, unter anderem im Flex-Magazin. Mittlerweile ist Jusup wieder in der Versenkung verschwunden – bleibt aber mit seinem dritten Platz beim Mr. Olympia 1984 der erfolgreichste deutsche Bodybuilder aller Zeiten. Ich publiziere das Interview ohne Kommentare, Korrekturen oder Überarbeitungen so, wie ich es vorfand.

JS: Was sollte man bei der Wahl eines Fitnessstudios beachten?

JW: Zunächst einmal, dass ein guter Trainer oder eine Trainerin da ist. Dann sollte man sich durchchecken zu lassen. Ich habe damals in meinem Studio einen Test gemacht, einen Muskeltest, welche Muskeln schwach sind, welche stark, verkürzt sind und welche nicht. Ich habe die Arbeitsmuster der Kunden eingeteilt in statische und dynamische. Die, die am Computer sitzen, haben ein statisches Arbeitsmuster und eine dementsprechende Haltung. Dann muss ein gezielter Trainingsplan erstellt werden.

 

JS: Was sind die meisten Fehler bei Anfängern?

JW: Dass sie zu schwer trainieren. Die Übungen nicht richtig ausführen. Und sich nicht an den Trainer wenden. Wenn er denn da ist. Aber meistens wird insofern falsch trainiert, dass bei zu schwerem Gewicht die Übungen abgefälscht werden.

 

JS: Welche Rolle spielt die Ernährung?

JW: Sie kann bis zu 70% des Trainingserfolgs ausmachen. Die richtige, sport- oder fitnessgerechte Ernährung.

 

JS: Nehmen gerade junge Kraft- oder Fitnesssportler oft zu viel Proteine ein?

JW: Ach, zu viel kann man gar nicht nehmen – wenn man entsprechend trainiert! Es kommt eben darauf an, ob man nur Fitness will, da ist ein geringerer Bedarf nötig, oder ob man tatsächlich Kraftsport, Powerlifting oder Bodybuilding leistungsmäßig betreibt. Kraftsportler nehmen zwei bis drei Gramm Protein pro Kilo Körpergewicht pro Tag ein. Proteine spielen eine große Rolle. Ich merke es selber gerade an mir, als ich wieder zu trainieren angefangen habe, wie wichtig das Protein ist. Es baut die Muskulatur auf. Ein unersetzlicher Nährstoff. Ich kann eine Zeitlang auf Kohlenhydrate verzichten, ich kann eine Zeitlang auf Fett verzichten, aber nicht auf Protein. Weil es das Element Stickstoff enthält. Und Stickstoff baut auf. Die anderen haben nur Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff. Vor allem nach dem Training ist Protein wichtig. Da ist der Körper bis zu sechs Stunden zwanzig mal stärker durchblutet. Und da wird das Protein viel besser aufgenommen. Etwa zwei Stunden vor dem Training eingenommen, hält das Protein den Blutzuckerspiegel konstant. Er sackt nicht ab. Wenn ich Kohlenhydrate zu mir nehme, kann es sein, dass der Blutzuckerspiegel nach einer Stunde absackt, Protein hält ihn vier oder fünf Stunden.

 

JS: Hat man früher mehr mit der Nahrung experimentiert?

JW: Ja. Damals war mein Trainer Peter Gottlob. Die Ernährung war damals nicht so wissenschaftlich aufgebaut wie heute, man hat mit der Zeit herausgefunden, welche Zusammensetzung die richtige ist. Ich habe zum Beispiel viel Fisch gegessen, Seelachs, Kabeljau, mit Endiviensalat und Naturreis, nur als Beispiel. Morgens habe ich schon Spaghetti gegessen mit Tomatensauce und Kalbsbällchen. Aber ich selber war kein großer Esser. Es gibt ja große Esser unter den Bodybuildern. Die essen fünf, sechs Mahlzeiten pro Tag. Das habe ich nicht gemacht. Ich habe höchstens drei mal pro Tag gegessen.

 

JS: Der derzeitige Mr. Olympia, Jay Cutler, muss ja nachts alle drei Stunden aufstehen und wieder Nahrung zu sich nehmen.

JW: Ja, wie die Sumo-Ringer. Ich kenne das auch von Peter Gottlob. Der hat auch den Wecker auf drei Uhr morgens gestellt und dann einen Eiweißdrink getrunken. Manche essen sogar während dem Training. In den USA, wo ich damals trainierte, habe ich das gesehen. Die einen haben Kartoffeln gegessen, für die Kohlenhydrate, zwischen den Trainingseinheiten.

 

JS: Wie sehen Sie die Bodybuilding-Szene heute? Ist es eine gesundheitsdienliche oder gesundheitsschädliche Disziplin? Würden Sie jungen Menschen zum Einstieg raten?

JW: Ja,... Wenn man vernünftig ist, kann man das schon machen, bis zu einem gewissen Grad oder Level. Aber wenn man sich für den Extremsport entscheidet, also für das Bodybuilding, das ist immer ein großes Risiko. Heute würde ich sagen, bei den Leistungsbodybuildern, kann das ein Gesundheitsrisiko werden. Weil die enorme Muskelmassen aufbauen. Zu meiner Zeit hat es kein STH gegeben, also kein Wachstumshormon. Kein Insulin. Da gab es ja mal den Bericht von Andreas Münzer, was der alles zu sich genommen hat...

 

JS: Geht es denn anders im Profi-Bereich?

JW: Zu meiner Zeit war ich der schwerste Athlet mit 111 Kilo, einmal sogar 115. Ich war schon enorm schwer. Die anderen, Lee Haney etwa, der achtfache Mr. Olympia-Sieger, war 105 Kilo schwer. Ich war sehr schwer, sehr kompakt, durch das Gewichtheben. Weil zu meiner Lehrzeit war ich deutscher Jugend- und Juniorenmeister 1965-69. Da bin damals ausgezeichnet worden, in Bayreuth, vom damaligen Bundespostminister Dollinger, den heute keiner mehr kennt. Das war die Basis fürs Bodybuilding. Heute haben die Athleten eine Muskelmasse, die kann man nicht vergleichen mit den 80er-Jahren. Dadurch sind sie natürlich nicht so beweglich. Sie können also nicht diese schönen klassischen Posen machen. Das fällt denen schwer. Die seitlich verdrehte Rückenpose, die ich und Arnold gemacht haben, das fällt denen schwer. In der Mittelpartie sind sie ein bisschen dick, früher war man eher schmal in der Taille.

 

JS: Haben Sie noch Kontakt zu den aktuellen Athleten? Sind Sie noch in Verbindung mit der Szene?  

JW: Bis 1997 hatte ich Kontakt zu Arnold. Nun will ich wieder Kontakt aufnehmen. Er ist ja mittlerweile Gouverneur, da ist das natürlich schwer. Ich habe die Adresse von seiner Privatsekretärin, sonst kommt man gar nicht an ihn ran. 

 

JS: Haben Sie Bodybuilding eher als Sport gesehen oder als ästhetische Disziplin, in der der Körper wie ein Kunstwerk gestaltet wird?

JW: Ich habe Bodybuilding schon als Sport betrachtet. Und dementsprechend ausgeführt auch. Ich habe auch Kraftleistungen gemacht, auch Powerlifting, natürlich nicht in dem Maße... Aber ich bin eingeladen worden zu den stärksten Männern der Welt, 1981, aber da hat mir der Arnold abgeraten. Weil da kommen Übungen, wo man sich verletzen kann. Demonstrationen, die ungewohnt sind, wenn man sie nicht übt. Etwa einen Kühlschrank auf dem Rücken zu tragen und damit 100 Meter zu laufen. Da hat sich Franco Colombo schwer verletzt, er ist mit dem Kühlschrank gestürzt – aber er hat von der Versicherung zwei Millionen Dollar bekommen. Hat sich gelohnt. Ob er das absichtliche gemacht hat? Wenn man im voraus weiß, dass es zwei Millionen gibt...

 

JS: ...kann man schon mal stolpern. Aber bei den IFBB-Contests geht es doch nur um die Ästhetik, oder?

JW: Ob man das ästhetisch findet, darüber kann man geteilter Meinung sein. Die einen sagen, das sind Muskelmonster, Comichelden, wie aus dem Comic sehen die aus. Der Hulk, oder Superman, oder die Fantastischen Vier... Ich war auch Comic-Leser, begeisterter Comic-Leser, das kann man vergleichen mit den heutigen Leistungs-Bodybuildern.

 

JS: Haben Sie die Comics inspiriert zum Bodybuilding?

JW: Nein. Ich habe Friedrich Nietzsche gelesen, unter anderem „Eine bürgerliche Tragödie“ oder „Menschliches, allzu Menschliches“. Und bei Nietzsche war ja der Übermensch, in „Also sprach Zarathustra“. In den 80er-Jahren habe ich das Buch herausgebracht: „Was würde bloß die Emma dazu sagen“. Da erzähle ich das mit Nietzsche. Zarathustra sagt ja: „Ich werde euch den Übermenschen lehren“. Dann kommt Supermann. Dann die Nazis. Ich weiß nicht, inwiefern das die Nazis übernommen haben, den Übermenschen. Und dann die heutigen Bodybuilder mit dem Übermenschen. So hat sich das Bodybuilding entwickelt. Und es ist gar nicht abzusehen. Aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnis wird experimentiert, manipuliert, sogar mit Genmanipulation spielt man ja. Ich weiß nicht, wie weit das noch geht. Ob nach Ronnie Coleman oder Jay Cutler, ob da noch eine Steigerung möglich ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da noch eine Steigerung möglich ist. Mich haben sie als den klassischen IFBB-Athleten beschrieben: „Der Titan aus Germany“. Das war 1983/94, als ich Dritter bei der Mr. Olympia-Wahl wurde, der beste Europäer – und nach wie vor unerreicht. Nach wie vor bin ich der beste Deutsche Bodybuilder aller Zeiten. Ich habe Bodybuilding-Geschichte geschrieben. Ich bin der erste deutsche Weltmeister im Schwergewicht geworden, das war 1979. 1978 bin ich auf Anhieb Vize-Weltmeister im Schwergewicht geworden, in Acapulco. Und '79 in Clumbus, Ohio. Das war meine Stadt, meine Gewinner-Stadt. Ein enthusiastisches Publikum, obwohl ich aus Deutschland kam. Und dann 1980 bin ich Weltmeister geworden, ich war Doppel-Weltmeister, bei der Mr. Universum-Wahl in der Schwergewichts-Klasse und im Gesamtsieg, also, es gab zwei Gewichtsklassen, bis 90 Kilo, die gewann Tom Platz, der mit den starken Beinen, über 90 habe ich gewonnen, dann kam es zum Stechen mit Tom Platz, und dabei ist der Mr. Universum gekürt worden. Da gab es einen Geldpreis, 5000 oder 7000 Dollar. Ich war ein Amateur unter Profis. Denn nach wie vor war ich bei der deutschen Bundespost als technischer Fernmeldesekretär im Dienst, Beamter auf Lebenszeit, absolut abgesichert. Und da habe ich überraschend gewonnen – was heißt überraschend, man hat damit gerechnet. Danach konnte ich auf Grund meines Berufes mich nur noch auf die Mr. Olympia- oder Grand-Prix-Wettbewerbe vorbereiten, und da bin ich 1981 sechster geworden und anschließend Grand-Prix-Sieger, 1982 zehnter bei Mr. Olympia in London, 1983 in München sechster Platz, 1984 bin ich in New York Dritter geworden. Ich hätte gewinnen können, aber die Jury hat sich eben für Lee Haney entschieden. Dann bin ich dann Dritter geworden. 1985 war ich der Superstar, der Favorit, aber da haben wir unser Studio aufgebaut, da konnte ich nicht. Das war ein Fehler. Ich hätte mich entlasten sollen.

 

JS: Und Sie haben stets weiterhin ihren Beruf ausgeübt?

JW: Ja, natürlich. Bis zum Studio. Da habe ich dann um meine Entlassung gebeten. Als Beamter auf Lebenszeit im Mittleren Dienst, als Bundesbeamter, kann man nicht kündigen, man bittet um seine Entlassung. Dann fragen sie, warum, wieso, weshalb. Ich war nominiert für den Betriebsinspektor, also ich war A7 in der Besoldung, das geht dann bis A9, da wäre ich also Betriebsinspektor geworden – oder Sportlehrer. Also die deutsche Bundespost wollte mich dann einsetzen als Sportlehrer. Aber das Studio in Fellbach war eben ein Risiko, „Jusup's Galaxy Fitness“ hieß das, 1000 Quadratmeter groß. Und da ist meine Frau dann gestorben. Sie ist erkrankt und 1989, am 3. Dezember verstorben. Und das hat mich aus der Bahn geworfen.     

 

JS: Sie hatten ihr Studio zusammen mit Peter Gottlob in Fellbach.

JW: Ja, in den 80ern, also, 1985. Peter Gottlob war der Ex-Mann meiner Frau. Bis 1990 hatte ich das Studio, mit meiner Frau. Wir haben Maschinen entwickelt, für die aufrechte Haltung, auch orthopädische Maschinen.

 

JS: Sind die Studios heute besser als früher?

JW: Ja, viel besser. Sie sind auch individueller geworden. In der Zwischenzeit sind meist ausgebildete Trainer da, mit dem Neuesten vertraut, und auch die Fitnessmaschinen haben sich stark weiter entwickelt. Aber nach wie vor trainiert ja der Hardcore-Bodybuilder mit Kurzhantel und Langhantel. Da muss man sich auch auskennen. Mit Kurzhanteln kann man den Körper erst richtig meißeln.

 

JS: Schwarzenegger hat das so gesagt: Er meißele sich so wie ein Bildhauer einen Steinblock.

JW: Ja. Es gibt ein Bild von mir, ein Gemälde, auf dem ich mich meißele. Das hängt im [Sportstudio] Schinderhannes. Von einem Grafiker. Ein wunderschönes Bild. Das soll auf ein Titelbild kommen, von Peter Gottlob. Er arbeitet an einem Buch. Die History des Krafttrainings. Da will er mich als Titelbild nehmen. Schade, dass ich kein kleines Bild habe, wie ich mich meißele. Als Denkmal.