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Statement zur Cancel Culture

Veröffentlicht am 05.10.2020

Erstveröffentlichung in der DLF-Sendung "Streitkultur" vom 19.9.2020

Die Diskussionen über Cancel Culture nehmen bizarre Züge an. Die einen behaupten, Cancel Culture existiere gar nicht, obwohl sogar Veranstaltungen mit nicht-extremistischen Positionen infolge von Protesten abgesagt werden. Die anderen behaupten, Cancel Culture könne gar nicht existieren, da diejenigen, die zum Canceln aufrufen, nicht über die Macht verfügten, das Canceln auch durchzusetzen – als sei Kultur an Macht gekoppelt, und als gäbe es nur physische, ökonomische oder politische Macht, nicht auch mediale Macht oder Diskursmacht. Die einen heulen auf, wenn Veranstaltungen mit Rechten gecancelt werden, schweigen aber, wenn ein Konzert der linksradikalen Band Feine Sahne Fischfilet gecancelt wird. All das ist Klientelismus für die eigene Bubble. Vor diesem Hintergrund ist radikale Differenzierung angesagt. Cancel Culture existiert. Aber nicht überall, in unterschiedlichen Formen und Graden, mit unterschiedlichen Potenzialen – und manchmal nur in den Köpfen als vorauseilender Gehorsam. Niemand weiss, ob sich Cancel Culture durchsetzen wird. Machtverhältnisse ändern sich, Geschichte ist ein dynamischer, offener Prozess. In jedem Fall gilt: Wer für eine gerechte, offene Gesellschaft eintritt, muss nicht nur im Hinblick auf Ziele, sondern auch im Hinblick auf Methoden glaubwürdig sein. Cancel Culture kann eine Ultima Ratio sein. Prima Ratio darf sie nicht werden. Wenn Menschen in Machtpositionen gelangen, die zur Prima Ratio neigen, wird es gefährlich.