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@ SBB: SwissPassé

Veröffentlicht am 23.08.2015

Unlängst erhielt ich Post von der Schweizer Bundesbahn. Mein Generalabonnement sei nun in Form des neuen "Swiss Pass" erhältlich. Und zwar ausschließlich. Bislang bestand das Generalabonnement aus einer Plastikkarte mit Passfoto, ohne elektronisch-digitale Funktionen. Beim SwissPass handelt es sich um eine Chipkarte. Im Anschreiben wird sie nicht als solche, sondern in personalisierend-anbiedernd-nebulösem Jargon als "Schlüssel zu Ihrer Mobilität" gepriesen. Weiter heißt es: "Dank dem Swiss Pass brauchen Sie nicht mehr an die Aboverlängerung zu denken, denn ohne Ihre Kündigung verlängert sich ihr GA automatisch." Die Suggestionsdichte dieser Zeilen ist beachtlich. In bester paternalistischer Manier wird den offenbar allesamt immobilen, demenzverdächtigen Kunden unterstellt, dass ihnen a) der Zugang zu Mobilität bislang verschlossen geblieben sei, und dass sie b) sehnlichst darauf gewartet hätten, nicht mehr an die Aboverlängerung denken zu müssen. Liebe SBB, die Sache verhält sich ein wenig anders.

1) Ich habe nie das Bedürfnis nach einer sich selbständig verlängernden Chip-Fahrkarte verspürt, mittels derer obendrein ein Bewegungsprofil erstellt werden kann (siehe Punkt 4) und personenbezogene Daten für Marketing- und sonstige Zwecke erhoben werden. Die bisherige GA-Karte funktionierte reibungslos. Vorzeigen, kontrollieren, weiterfahren, alles in Sekundenschnelle. Genau diese Funktion, und keine andere, sollte eine Fahrkarte erfüllen. Der Swiss Pass wird nicht aufgrund einer Nachfrage seitens der Kunden eingeführt, wie im Schreiben scharwenzelnd insinuiert wird, sondern aufgrund des Bestrebens der SBB, Daten zu speichern, auszuwerten und zu nutzen. Anders als in social networks, betont Felix Huber von den Grünliberalen, ist die damit einhergehende Selbstentblößung alles andere als optional: "Ob ich auf Facebook einen Post veröffentliche und was ich dabei preisgeben möchte, ist mir in jedem Fall persönlich überlassen, ich habe die Wahl! Im Fall des VÖV habe ich diese Wahl, ob ich mithilfe meiner Daten überwacht und analysiert werde, nicht." (Link)

2) Herangeführt werden sollen die Kunden weiterhin an "Partnerdienste" der SBB: Mobility Carsharing, PubliBike, SchweizMobil sowie an Dienstleister in Skigebieten. Auch hierbei verspricht der SwissPass "Zugang" – und suggeriert damit, es habe zuvor keiner bestanden. Was natürlich Murks ist. Man hofft auf die Bequemlichkeit der Kunden: Wie man bei Amazon alles aus einer Hand erhält, so soll man ohne weiteres Nachdenken die Angebote der SBB-Partner nutzen. Einen schönen Kommentar zum Bequemlichkeitskapitalismus hat Annette Zoch in der SZ verfasst (Link). Dass es auch anders geht, zeigt Jan Hellmut Schwenkenbecher in der gleichen Zeitung (Link).

3) Was im Einzelfall mit den gespeicherten Daten geschieht, entzieht sich der Kontrolle der Kunden. Das ist die übliche Asymmetrie im digitalen, granularen Zeitalter. Es löst die Einzelnen immer höher auf, während sich die – überwiegend kommerziellen, aber auch staatlichen – Auflösungsinstanzen gleichsam hinter firewalls zurückziehen (eine gute Analyse hierzu bietet Kucklicks Granulare Gesellschaft). Wie sicher die Daten verwahrt werden, ob nicht doch unbefugte Dritte auf sie zugreifen, ob sie nach Vorschrift gelöscht werden, kann nicht überprüft werden. Das kommt uns zur Zeit alles ziemlich harmlos vor. Doch was geschieht bei einem Systemwechsel? Möchte man ein besonders drastisches Beispiel bemühen, so denke man an den Islamischen Staat (IS). Natürlich liefern weder fromme Christenmenschen noch idealistische Humanisten den Islamisten Waffen oder spenden ihnen Geld. Das bedeutet aber nicht, dass der IS auf seinen Feldzügen nicht genau die Waffen und das Geld erbeutet und nutzt, die über westliche Kanäle in den nahen Osten gelangten.

4) Im demokratischen Kapitalismus, welch famoser dialektischer Winkelzug des Weltgeists, nähern wir uns chinesischen Verhältnissen. Implizit wird von den Bürgern verlangt, dass man der Partei – hier: dem Konzern – von Herzen vertrauen möge, dass sie es schon gut mit uns meine. "Don't be evil" lautet das Gründungsmotto von Google. Doch Demokratie und Kapitalismus funktionieren nur durch checks & balances. Sie fußen nicht auf süßlichem Vertrauen in asymmetrischen Macht- und Transparenzverhältnissen. Vielmehr sind Misstrauen und wechselseitige Kontrolle bei gleichzeitigem Respekt und Toleranz ihr Fundament. Es ist bezeichnend, dass im Anschreiben der SBB ein schmeichelnder Ton dominiert – "der Schlüssel für Ihre Mobilität" –, während im Kleingedruckten – immerhin: die Differenzschwelle zum autoritären Kapitalismus asiatischer Prägung – erst einmal das unverdächtige, an heitere Bastelgruppen erinnernde Wort "Karte" (fettgedruckt) auftaucht und dann (natürlich ohne Auszeichnung) ein einziges verschämtes Mal das Teilakronym "RFID-Chip". Was das ist?

Über die RFID-Technologie heißt es auf der Website des Berliner Datenschutzbeauftragten:

"RFID-Systeme arbeiten drahtlos, so dass das Auslesen der Daten ohne Wissen des Besitzers erfolgen kann. […] RFID-Chips ermöglichen eine weltweit eindeutige Kennzeichnung von einzelnen Gegenständen. […] Durch Zusammenführung der Informationen aus RFID-Chips mit personenbezogenen Daten (z.B. aus Kundenkarten) lässt sich das Kaufverhalten einzelner Kunden detailliert analysieren."

Mit Blick auf via RFID erstellbare Bewegungsprofile heißt es auf Wikipedia:

"Ortsinformationen erhält man … immer indirekt über die Kenntnis des Standorts des Lesegerätes. An tragbaren Gegenständen angebrachte und so von Personen mit sich geführte RFIDs sind eine Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung, da die ausgelesenen Daten bei Kenntnis des Zusammenhangs personenbeziehbar sind (siehe unten). In dieser Hinsicht gleichen RFID einem eingeschalteten Mobiltelefon, dessen Standort ungefähr anhand der nächstgelegenen Funkzelle ermittelt werden kann. Aufgrund der vergleichsweise geringen Reichweite von wenigen Metern bei passiven RFID-Chips, ist die Standortbestimmung in dem Moment des Auslesens aber wesentlich genauer, sogar noch genauer als bei ziviler Nutzung von GPS. Anhand strategisch geschickter Platzierung von mehreren Lesegeräten an diversen Verkehrs-Knotenpunkten, Engpässen, Türen und dergleichen, ließe sich auch ein zeitlich und räumlich relativ genaues Bewegungsprofil erstellen. Dabei besteht die Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung insbesondere aus dem Umstand, dass viele RFID versteckt angebracht sind, der Träger also nicht weiß, dass er sie mitführt, in Kombination mit einem völlig unbemerkten Auslesevorgang."

5) Im Namen des SwissPass fehlt somit ein Buchstabe: SwissPassé. Bürgerliche Selbstbestimmung sieht anders aus.