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@ Mr. Holmes

Veröffentlicht am 30.07.2015

Unlängst im Kino: Bill Condons Mr. Holmes. Etwas rührselig geratene Geschichte über den 93-jährigen Sherlock Holmes, der am Ende seines Lebens doch noch die Segnungen von Emotion und Fiktion erfahren darf. Interessanter das Hintergrundrauschen. Sir Arthur Conan Doyle, der Autor der Sherlock-Holmes-Erzählungen, war ein Förderer des Bodybuildings und praktizierte ebendieses selbst. Auch war er mit Eugen Sandow befreundet, dem großen Popularisierer und Vermarkter des Bodybuildings. Auf den ersten Blick mag die Konstellation Hageres-kokainschnupfendes-britisches-Superbrain-und-eiserner-preussischer-Superbody bizarr wirken. Auf den zweiten Blick ist sie nachgerade zwingend.

Was Sherlock Holmes Methoden für die Vorstellung von Detektivarbeit bedeuteten, das war das Bodybuilding für die Körperkultur im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert: eine rationale, systematische, strukturierte und methodische Form der Körperformung. Stets betonte Sandow: „It is the mind–all a matter of the mind.“ Das hätte auch aus dem Munde Holmsens stammen können. Wenn nun in Mitch Cullins Roman A Slight Trick of the Mind und in Condons darauf basierendem Film die Versöhnung von Rationalität und Emotionalität, von Fakt und Fiktion gefeiert wird – gibt es eine Entsprechung dazu in der Geschichte des Bodybuildings? In der Tat: Während das frühe Bodybuilding – zumindest als Lippenbekenntnis – die Rationalität hervorhob, setzte in den 1960er und 70er Jahren eine offensive Re-Mythisierung der Körperkultur ein. Zwar waren die Körper der Bodybuilder gänzlich purifiziert und ähnelten dahingehend nüchterner konkreter Kunst. Andererseits wurden sie ein Teil der Popkultur und damit eines globalen Spektakel- und Mythenkomplexes (der sich zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen bereits mit dem Showman Sandow angedeutet hatte. Doch der soziale Legitimationsdruck war um 1900 weitaus stärker als um 1970, weshalb das anrüchige Bodybuilding nur unter Zuhilfenahme bildungsbürgerlicher Referenzen – Rekurse auf die Antike – und des Sedativums der Sachlichkeit reüssieren konnte). Ein Indiz für besagten Wandel ist das Lächeln: Auf Fotografien um 1900 lächeln die Athleten nie. Mit großem Ernst vollführen sie ihre Exerzitien, werben um das Vertrauen der Konsumenten. Erst in der kanadisch-kalifornisch geprägten Körperkultur der Postmoderne erhält das Lächeln Einzug. Nun darf die Plackerei auch Spaß machen. Mit Arnold Schwarzenegger, Lisa Lyon & Co. erfuhren die Irrationalität, der Exzess, die Lust, die Ironie, das Spiel, kurz: das Leben eine Aufwertung in der Körperkultur. Fortan lebten sie in wilder Ehe mit instrumenteller Vernunft, Faktenhuberei und biopolitischer Quantifizierung – das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, neu inszeniert für die angloamerikanische Postmoderne.