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@ Kulturschutzgesetz

Veröffentlicht am 26.07.2015

Was im anhaltenden Gesums der Kulturschutzgesetz-Debatte übersehen wird, ist die Problematik und Absurdität des Begriffes selbst. Statt dessen prägt interessens- und meinungsschwangeres Lobby-Gewäsch die Auseinandersetzung. Allgemeinere, über Partikularinteressen hinausgehende Betrachtungen sind rar, einmal abgesehen von treuherzigen Beteuerungen seitens der Händler, Sammler und Kunstmarktkünstler, Kunst sei doch "international", "global", gar "universell". Es ist deshalb lohnenswert, ein paar Schritte zurückzutreten und den Resonanzraum des Begriffes auszuloten

1) Herkömmlichen Lesarten zufolge entstand Kultur, um Menschen vor der Indifferenz und Grausamkeit der Natur zu schützen – Architektur, um unabhängig zu werden von den klimatischen und meteorischen Verhältnissen, Bilder, um symbolische Herrschaft über Dinge und Lebewesen zu erlangen. Nun sind es paradoxerweise wir, die die Kultur schützen müssen. Wovor wir sie schützen müssen? Vor uns selbst, beziehungsweise vor unserer so neuen wie erneut unhintergehbaren, letztbegründenden Natur – dem Markt. Es scheint, als sei der Markt nun das für die Kultur, was einst die Natur für den Menschen war. Schon Nietzsche erkannte, "dass jede siegende zweite Natur zu einer ersten wird".

2) Naturschutz und Kulturschutz kommen auf der institutionellen und juristischen Ebene erst dann ins Spiel, wenn Natur und Kultur bereits kurz vor dem Exitus stehen. Die Tatsache, dass sich Staaten genötigt sehen, vermittels Expertenkommissionen und Gesetzen Artefakte auf Listen bedrohter Arten zu setzen, heißt im Klartext, dass sich niemand sonst für ihren Schutz oder doch wenigstens für ihre "Pflege" ("cultus" stammt vom lateinischen "colere" = "anbauen, bewirtschaften, pflegen" ab) zuständig fühlt. Die folgende Sicht mag eine klassische liberalistische sein, doch sie ist es wert, einmal durchgespielt zu werden. Man stelle sich, ein wenig idealisierend, eine tiefreligiöse Gemeinde vor. Diese würde ihre in der Dorfkirche befindliche wundertätige Marienfigur wohl mit Leib und Leben vor dem Abtransport und vor der Freisetzung auf den ketzerischen Märkten bewahren. Oder man denke an Jan Matejko. Um sein Gemälde Bitwa pod Grunwaldem vor den Nazis zu verstecken, setzten Polen im Zweiten Weltkrieg ihr Leben aufs Spiel. Wer aber würde diesen oder jenen Baselitz mit Leib und Leben verteidigen? Wer würde sich schützend vor einen Richter werfen, wenn die seelenlosen kapitalistischen Häscher anrücken? Einmal abgesehen davon, dass das – noch aus Weimarer Zeiten stammende – Gesetz auf heillose Weise Kunst und Kultur ineinssetzt: Das meiste, was an Gegenwartskunst in den Museen hängt, hat keine Bedeutung für diejenigen, die angeblich Träger oder Nutznießer der "deutschen" oder "nationalen" Kultur sind, sprich, eben die Angehörigen des deutschen Volkes (was immer das sein mag...). Kulturschutzgesetze sind verzweifelte Versuche, nicht eingestehen zu müssen, dass Kultur – im Sinne der im Gesetz aufgeführten und nun so inbrünstig diskutierten "Kunst" – kaum jemandem im 'Volk' etwas bedeutet. Gerade dieser Umstand, und nicht etwa die Fiktion des "nationalen Erbes" oder der "nationalen Kultur", macht in vielen Fällen den Wert von Kunst aus. Somit müsste ein glaubwürdiges und stimmiges Gesetz nicht etwa das nationale Erbe schützen, sondern im Gegenteil das Erbe vor dem Nationalen. Das Nationale isst Currywurst und schaut Fußball. Wer es ernst meint mit dem Kulturschutz unter den Auspizien des Nationalen, der setze Currywürste und Günter Netzer auf die Liste.

3) Der Gesetzesentwurf gibt vor, gegen die Macht der Märkte Stellung zu beziehen. In Wahrheit kann und will auch er sich der Marktlogik als einer der Logik der Zahl nicht entziehen. Da wird einerseits mit einer Art kultureller DNA argumentiert, die nicht angetastet werden dürfe, da sonst der gesamte Kultur-Organismus gestört werden würde. Andererseits kommt man im Hause Grütters doch nicht umhin, den Wert der auratischen Artefakte auf gänzlich krämerisch-buchhalterische Weise zu definieren: Soundsoviel muss etwas kosten und soundsoalt muss etwas sein, um den Segen des Kulturschutzes genießen zu dürfen. Ob 150'000 oder 300'000 Euro – die Höhe der Zahlen spielt dabei keine wirkliche Rolle. Ausschlaggebend ist, dass die Kategorien und Kriterien der Quantifizierung greifen. Noch bizarrer aber wird es, wenn die sogenannte "Opt-out Klausel" ins Spiel kommt. Sie könnte es Leihgebern ermöglichen, selbst darüber zu befinden, ob ihre Gaben als kulturschutzbedürftig zu gelten haben. Damit wären alle anderen Kriterien hinfällig, insbesondere der Kollektivsingular des Nationalen. Dass dieser in Zeiten von Diskursen über Transnationalität und Transkulturalität ohnehin hoffnungslos anachronistisch wirkt, bedarf hier keiner weiteren Erläuterung.

4) Die Debatte ignoriert aktuelle Diskurse über das Verhältnis zwischen Originalen und Kopien/Reproduktionen. Avancierte Denkerinnen und Denker verteidigen derzeit die Kopie/Reproduktion gegen den Kult des Originals (ein populärwissenschaftliches Kondensat bietet etwa Dirk von Gehlens Mashup. Lob der Kopie (Suhrkamp, 2011). So können Kopien/Reproduktionen, folgt man etwa Wolfgang Ullrichs Argumentation in Raffinierte Kunst: Übung vor Reproduktionen (Wagenbach, 2009), zur Verfeinerung, zur Veredelung und zur Steigerung der Komplexität eines Originals beitragen oder dieses überhaupt erst zu einem Gegenstand von Interesse und Relevanz machen. Kurzum: Kopien/Reproduktionen können, zumindest aus erkenntnistheoretischer und ästhetischer Sicht (bei materialtechnologischen Fragen sieht es anders aus), von großer Bedeutung sein. In der Kulturschutzgesetz-Debatte indes dreht sich alles um Originale. Warum, polemisch gefragt, nicht die Mona Lisa in die Golfstaaten vertickern, eine hochwertige Kopie installieren (niemand außer den Restauratorinnen und Restautoren würde es bemerken) und endlich den französischen Staatshaushalt mit dem Erlös sanieren? Warum den Kult des Einzelnen und Einzigartigen prolongieren?