Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Kolumne "Die Kunst und alles andere"

Veröffentlicht am 20.08.2019

Seit 2018 bin ich Kolumnist der Stuttgarter Zeitung. Im Abstand von jeweils einem Jahr veröffentliche ich die monatlichen Kurzessays auf meinem Blog.

Gott setzt keine Cookies

Die Erwartungen der Gläubigen beim Gebet sind recht unterschiedlich. Christen könnten da durchaus von anderen etwas dazulernen.

Kürzlich war ich für eine Gastdozentur in Taiwan. Ein fantastisches Land – auch was die Gebetskultur betrifft, wie ich von meinen Kollegen an der Kunstuniversität von Taipeh erfuhr. In Buddhismus und Taoismus müsse zunächst einmal der richtige Gott ausgewählt werden. Nicht alle Götter seien in allen Bereichen aktiv. Das leuchtete mir sofort ein. Warum sollte man sich als Gott um jeden Kleinkram kümmern? Gemeinhin wechselt man in die Teppichetage, um nicht mehr als Mädchen – oder wahlweise Bübchen – für alles herhalten zu müssen.

Anstatt sich komfortabel an einen himmlischen Generalunternehmer wenden zu können, wie es im christlichen Abendland üblich ist, sind in Asien Recherche und Eigeninitiative gefragt. Das hält geistig fit, gerade in Zeiten der Überalterung! Ist die oder der Zuständige dann gefunden, stellen sich die Betenden mit Name, Anschrift, Geburtsjahr und Geburtszeit vor, um Verwechslungen und entsprechend fehlgeleitete Heilslieferungen auszuschließen. Kurz, hier haben nicht die Götter dafür zu sorgen, dass alles seine Ordnung hat, sondern die Betenden. Selbst Kleinigkeiten, etwa die Zustellungsmodalitäten betreffend, werden mitbedacht.

Ob dieses bescheidenen Pragmatismus kam ich nicht umhin, mich für die christliche Gebetskultur ein bisschen fremdzuschämen. Wann hätte man hierzulande je ein Gebet mit der Postanschrift versehen? Wie selbstverständlich gehen wir davon aus, dass Gott uns persönlich kennt, ja dass er über jede Banalität, jedes Detail unseres Lebens informiert ist, bis hin zur Hausnummer. Damit wird Gott zur Datenkrake erklärt, zu einem metaphysischen Google oder Amazon, deren Geschäftsmodelle bekanntlich auf unserer Bequemlichkeit, Faulheit und Eitelkeit gründen: "Wir wissen alles über Sie – hier unsere Empfehlungen!" Phil Collins hat dieser Haltung mit dem Song "Jesus He Knows Me" (1991) ein Mahnmal gesetzt.

Ausgerechnet diejenigen, die sich als Mitglieder einer besonders demütigen Religion wähnen, treten im Gebet folglich eher anmaßend auf und wähnen sich in einem privilegierten Verhältnis zu ihrem Schöpfer. Wenn Sie also das nächste Mal die Nummer nach oben wählen, tun Sie es den Buddhisten und Taoisten gleich. Stellen Sie sich zu Beginn höflich vor. Geben Sie jeweils aufs Neue ihre Nutzerdaten an, denn Gott setzt keine Cookies. Ob sein allsehendes Auge über automatische Gesichtserkennung verfügt, entzieht sich unserer Kenntnis. Scheuen Sie sich nicht, auch pragmatische Aspekte ins Gebet einzubeziehen. Immerhin heißt es schon bei 1. Petrus 4,7: "Seid nun besonnen und seid nüchtern zum Gebet!"