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Im Stand der Dinge

Veröffentlicht am 08.06.2017

Mein Text für die Diplompublikation des Bachelor Kunst & Medien, Zürcher Hochschule der Künste, Juni 2017. Downloadlink zur gesamten Publikation.

Man fragt, wie die Dinge stünden. Sieht sich um, hört sich um. Nur, um an der nächstbesten Ecke zu erfahren, dass sie genau dies nicht tun, nicht nur tun, nicht mehr tun: stehen. Sie liegen in den Ecken, auch in den schmutzigen. Fläzen weit ausgestreckt auf löchrigen Kissen. Sie sitzen mit gekreuzten Streben, schweben in der Horizontalen durch die Räume und treiben mal stromab, mal stromaufwärts. Sicherlich, Manche haben gesehen, dass sie sich aufrichteten. Man präsentiert Dokumente und Belege. Zweifelsohne lässt sich nachweisen, wie sie sich streckten, sich in der Vertikale gerade hielten, hart und trotzig und gerade, wie sie Fundamente unter sich ausbildeten, sich ineinander verkeilten, wie sie sich verflanschen, vernieten, verschweissen, vertäuen, verkleben liessen. Und ja, man verzeichnete sie stehend, verzeichnete die Stehenden; man zerteilte und ordnete sie, verteilte sie auf Orte und Räume, umzäunte und pflegte, polierte und arrangierte, benannte und beschilderte, vernetzte und versetzte, stützte und sicherte sie. Man verschaffte ihnen, in einem Wort, einen guten, senkrechten Stand. Doch immer wieder: eine Böe, ein leichtes Beben der Erde, ein Türenschlagen, ein Ölfilm im Flur, ein Blick aus den Augenwinkeln, unverhofft, eine Zellkultur und ein Roadmovie. Ein Wort, zur Unzeit ausgesprochen, Kreise ziehend. Eine Möwe zur Mittagszeit, arglos, träge und nachlässig. Beschleunigte Teilchen, rasender Stillstand. Die fliegenden Menschen durchzuckten jede warme und kalte Luft, mochte sie über dem Boden östlich oder westlich schwimmen, oder in dem Kalmengürtel sich langsam über dem tropischen Boden erheben. Ölschiffe Unterwasserboote sausten durch jedes Wasser; wie ein Messer in der Hand des Chirurgen, das das Gefäß umschneidet überschneidet. Und mehr noch: Bald traten jene auf, die sagten und weitersagten und weiter sagen: Der Stand der Dinge, das ist auch unser Stand, nein: Unser Stand ist auch der Stand der Dinge. Die Stände als solche seien erweitert worden, man habe neue Sitzreihen in die Parlamente eingezogen, bequemere und unbequemere, die Kabinette kombiniert, auch Rotationsmodelle seien vorgesehen und würden in Bälde erprobt werden. Draussen erwägten die Fabrikanten mit den Fabrikaten zu kooperieren. Man erinnert sich oder erinnert sich wieder, wie jene auftraten, die da meinten, stehend noch, aufstehend, den Aufstand erprobend, alles Ständische und Stehende verdampfe. Dampf also. Dampf stieg auf, Aggregatszustandstransformatoren wurden aufgeboten, Turbinen installiert. Es nützte nichts. Die Dinge standen, die Dinge fielen, der Stand der Dinge ist kein Stand mehr oder vielleicht im Stande aller. Ständeordnung, Sitzordnung, Liegeordnung, Fläzordnung, Schwebeordnung, Sprintordnung, Umordnung. Wozu die Dinge im Stande sind, zeigt sich vor allem darin, wie sie liegen.