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@ HA Schult: Rebound! Rebound!!

Veröffentlicht am 16.08.2015

Der Aktionskünstler HA Schult fuhr kürzlich mit einem Hybridauto von Paris nach Peking und wollte das Ganz als Einsatz für den Umweltschutz verstanden wissen (http://action-blue.de/). Aus mehreren Gründen ist diese Erlösungstournee vollendeter Mumpitz.

Warum sollte man ausgerechnet 18'000 Kilometer zurücklegen, um die Umwelt zu schützen? Unabhängig davon, was für Energie dabei verbraucht wird: Es wird Energie verbraucht. Von der grauen Energie einmal ganz zu schweigen. Und am Steuer hockt weiterhin ein männlicher, weißhäutiger Europäer, der all den Schwellenfahrern da draußen zeigt, dass die westliche Roadmovieromantik und die guten alten Jules-Verne-Abenteuertouren immer noch der heißeste Scheiß sind. Wer sich keinen hippen Hybrid leisten kann wie der unter anderem von einem Hochdruckventilhersteller, einem Autokonzern (der selbstredend auch herkömmliche Ottomotoren verbaut), einer Praxis für Zahnheilkunde, einer asiatischen Biermarke und einem rheinischen Energieversorungsunternehmen (das bereits häufiger des Greenwashings bezichtigt worden ist) gesponserte HA Schult, der muss halt weiter seinen Fossilbolzen treten. Denn getreten werden muss!

Wie aber wäre es mit diesem neuen, bahnbrechenden, noch streng geheimen Umweltschutzkonzept: Einfach mal zuhause bleiben, Hagebuttentee aus lokalen Beständen trinken und die Katze hinter den Ohren kraulen. Die Energiebilanz des Faulenzens ist vortrefflich! Was wir nicht mehr brauchen, sind all die Klimaschützer, die mit fortwährendem Herumfliegen von Klimakonferenz zu Klimakonferenz die Probleme mitverursachen, die sie zu lösen vorgeben. Wir brauchen keine Schwarzeneggers, die erst den verschwenderischen American Way of Life vorleben – bis hin zur Erwirkung der Zulassung von Hummer Jeeps für den zivilen Straßenverkehr – und sich dann als Bionator gerieren. Wir brauchen keine Öko-Smoothie-Produzenten, die auf ihre Wegwerfbecher "recyclable" schreiben (was ja nicht heißt, dass sie tatsächlich recycelt werden). Überhaupt: Wann immer eine wirksame Umweltschutzmaßnahme ergriffen wird, erfährt sie alsgleich ihren gerechten Ausgleich. Man wischt sich den Hintern mit Ökoklopapier, nur um seine Liebe zum morgenlichen Coffee to go im Pappbecher mit Plastikdeckelchen, Plastiklöffelchen und Mehr-Verpackung-pro-Gramm-Zucker zu entdecken. Man ersetzt die Glübirnen durch Energiesparlampen und greift zum Smartphone, das ungleich mehr Strom verbraucht als die herkömmlichen Handys. Man drosselt den Spritverbrauch von Autos, während die Anzahl der Flüge weltweit zunimmt (sowie natürlich immer mehr Autos verkauft werden). Über Dortmund und Manchester ist der Himmel mittlerweile etwas heller, dafür lastet der Smog über Bejing. Und so weiter, und so fort.

In diesem Zusammenhang sei an Stanley Jevons famose Studie "The Coal Question" aus dem Jahre 1865 erinnert. Darin wird erstmals ein Fakt beschrieben, der unter heutigen Ökonomen als "Rebound-Effekt" bekannt ist, aber in den Medien selten diskutiert wird: Steigende Effizienz führt oft zu mehr Verbrauch. Die Lampe benötigt weniger Strom? Prima, dann lassen wir sie länger brennen! Das Auto verbraucht weniger Sprit? Prima, dann können wir mehr fahren! Bei Jevons heißt es: "Whatever, therefore, conduces to increase the efficiency of coal, and to diminish the cost of its use, directly tends to augment the value of the steam-engine, and to enlarge the field of its operations." Führt man sich nun noch einmal HA Schults hoffnungsvolle Spritztour vor Augen, so ist klar, dass er eine Tour de Farce absolviert hat. 18'000 Kilometer Effizienz – man kann sich denken, was das für diverse "fields of operations" bedeutet.

Die Aktion fand übrigens unter dem Schirm der GLOBALE statt, eines 300 Tage währenden Großkunstereignisses am ZKM Karlsruhe, das sich den Bruch mit der angeblich gänzlich verderbten westlichen Moderne auf die Fahnen geschrieben hat (weshalb Bruno Latour als Kurator der Ausstellung Reset Modernity! natürlich nicht fehlen durfte). Ulkig nur, dass die GLOBALE im Juni mit "einem Prozess gegen die Verfehlungen des 20. Jahrhunderts und seine Verbrechen gegen Mensch, Tier und Natur" begann und streng zukunftsgläubig eine ins Leben drängende, mit Technik, Kultur, Politik und Sozialem vernetzte Kunst propagiert. Ist die Prozess- und Bruch-mit-den-Verhältnissen-Rhetorik nicht gänzlich dem Denken der Moderne verhaftet, etwa dem Immanuel Kants, der alles und jeden vor den "Gerichtshof der Vernunft" zerren wollte? Und steht die Verkettung von Kunst und Leben nicht fest in der Tradition der historischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts? Das Programm der Globale ist überaus interessant, reichhaltig, faszinierend, inspirierend – aber es bedeutet so wenig eine Abkehr von den Ideologien des 20. Jahrhunderts wie HA Schults Reise eine Abkehr vom sklerotischen Mobilitätsparadigma "Ein-Mann-ein-Auto" bedeutet .