Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Der Haken mit dem Kreuz. Bildwissenschaftliche Bemerkungen zu juristischen Aspekten des Hakenkreuzes als Text- und (vermeintliches) Bildsymbol

Veröffentlicht am 09.10.2017

Das Hakenkreuz ist in Deutschland ein verfassungswidriges Symbol und darf nach § 86a Strafgesetzbuch nicht öffentlich verwendet und verbreitet werden; es sei denn, um über die NS-Zeit aufzuklären sowie im Rahmen der Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Doch ist damit nur das bildliche oder auch das textuelle Symbol gemeint?

Meines Wissens bezieht sich das Hakenkreuzverbot nur auf das Bildsymbol. So ist es illegal, einen Button mit dem Bildsymbol des Hakenkreuzes öffentlich am Revers zu tragen, es sei denn, es handelt sich um ein durchgestrichenes oder sonstwie verfassungskonform gemachtes Hakenkreuz. Hingegen ist es im Prinzip legal, das Textsymbol "Hakenkreuz" auf eine Jacke zu schreiben und diese öffentlich zur Schau zu stellen. Eine Petition, die Schriftzüge wie "Hakenkreuz", "HKN KRZ" oder "HKNKRZ" verbieten lassen wollte, blieb 2016 erfolglos.

Diese juristische Sachlage ist vielsagend für unser Verständnis von Text- und Bild-Symbolen. Dem Bildsymbol des Hakenkreuzes sprechen wir offenbar eine größere Macht oder verführerische Kraft zu als dem Textsymbol des Hakenkreuzes, obwohl beide, je nach Kontextualisierung, dasselbe meinen (können).

Andere Textsymbole wie "Führer" wurden in der NS-Zeit ebenfalls exzessiv verwendet, ja es wurde versucht, das "Führerprinzip" auf allen Ebenen der Gesellschaft durchzusetzen. Wie das Wort "Hakenkreuz" ist auch das Wort "Führer" heute nicht verboten. "Wirtschaftsführer", "Führungspersönlichkeit" oder "Kraftfahrzeugführer" sind vielmehr gebräuchliche Ausdrücke.

Vermutlich wirkt hier die überkommene, protestantisch gefärbte Unterscheidung zwischen dem Medium der Schrift als einem aufklärerisch-rationalen und dem Medium des Bildes als einem magisch-irrationalen nach. Das Textsymbol des Hakenkreuzes vermeinen wir bändigen zu können, stufen es als tendenziell passiv und uns selbst als aktiv ein. Dem Bildsymbol des Hakenkreuzes indes trauen wir, mit Horst Bredekamp gesprochen, einen "Bildakt" zu. Wir begreifen es als ein aktives, eigenmächtiges Element der Kultur, das sich unserer Kontrolle entzieht.

Doch ist das Hakenkreuzsymbol überhaupt ein Bild? Hier sind Zweifel angebracht. Für den Phänomenologen und Bildwissenschaftler Lambert Wiesing ist ein visuelles Phänomen nur dann ein Bild, wenn es sich durch die Gleichzeitigkeit von Präsenz und Absenz auszeichnet. In einem Bild, so die Prämisse der phänomenologischen Bildwissenschaft, muss das jeweilige Bildobjekt in "reiner Sichtbarkeit" präsent sein. So zeigt Amrita Sher-Gils Gemälde Young Girls (1932) tatsächlich zwei junge Frauen. Sie sind klar zu sehen – doch es handelt sich um Frauen, die einzig durch den Gesichtssinn wahrnehmbar sind. Das Bild ist mit seinem Referenten – Frauen – durch Wahrnehmungsnähe verbunden.

Vor diesem Hintergrund ähnelt das – vermeintliche – Bildsymbol des Hakenkreuzes eher einem Textsymbol, also einem konventionellen, arbiträren Zeichen, das mit seinen Referenten nicht durch Wahrnehmungsnähe verbunden ist. Ein Verbot des Bild-, nicht aber des Textsymbols des Hakenkreuzes erscheint dahingehend fragwürdig. Hingegen ist es schlüssig, das Kopfbild Adolf Hitlers – ohne aufklärerischen Kommentar – zu verbieten, da es Hitler und nur Hitler zeigt.

Konventionelle, also arbiträre Zeichen können nicht für das gehalten werden, auf was sie sich beziehen. Die Phänomenologie lässt sie nicht einmal als Bilder gelten. In diesem Zusammenhang ist der Begriff des "dezeptiven Modus" aus der konkurrierenden semiotischen Bildwissenschaft aufschlussreich. Jörg Schirra und Klaus Sachs-Hombach subsumieren darunter alle jene Bilder, die mit dem Abgebildeten in einer spezifischen Kommunikationssituation verwechselt werden können. Typische Bilder mit dezeptiver Schlagseite sind Ab-Bilder, etwa Fotografien oder realistische/naturalistische Gemälde; mithin alle Bilder, die in einem Verhältnis wahrnehmbarer Ähnlichkeit zum Dargestellten stehen. Charles Sanders Peirce verwandte für diese Zeichen den Begriff "Ikon". So kann das (ikonische) Bild eines Tigers, etwa eine Fotografie, zu einer Verwechslung mit einem lebendigen Tiger und zu einer instinktiven Fluchtreaktion führen, nicht aber das Textsymbol "Tiger" oder eine hochgradig abstrahierte Darstellung desselben.

Interessant ist, dass im Fall des Hakenkreuzes offenbar der dezeptive Modus auf ein Zeichen, das über keinen dezeptiven Modus verfügt, übertragen wurde. Niemand käme auf die Idee, das Hakenkreuzsymbol mit dem Menschen Adolf Hitler oder mit dem NS-Staat als solchem zu verwechseln. Das Hakenkreuz ist vielmehr ein Symbol, das in einem konventionalisierten, willkürlichen Verhältnis zum Nationalsozialismus steht und zuvor als Swastika in diversen Zusammenhängen für alle möglichen sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Zwecke herhalten musste. Die Nationalsozialisten taten nicht mehr und nicht weniger, als es 45 Grad nach rechts – wohin auch sonst – zu neigen.

Somit ist das – vermeintliche – Bildsymbol des Hakenkreuzes de facto ein arbiträres Zeichen, wird aber de iure wie ein Ikon mit dezeptivem Modus behandelt, während das Textsymbol Narrenfreiheit genießt. Nur bei einem Bildsymbol besteht die Möglichkeit, dass es mit seinen Referenten verwechselt wird und wie das Bild des Tigers intuitive/instinktive Reaktionen auslöst – mit dem Unterschied, dass beim Hakenkreuz nicht Flucht, sondern Gefolgschaft befürchtet wird. Wollte man konsequent sein und keinem naiven Verständnis von Text (analytisch-rational) und Bild (magisch-irrational) anhängen, während man zugleich arbiträr-konventionelle mit wahrnehmungsnahen Zeichen gleichsetzt, müsste man auch das Textsymbol des Hakenkreuzes, vor allem das isoliert auftretende, verbieten.