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Burka-Verbot? Burka-Gebot für alle! Oder: Willkommen im Burkabendland

Veröffentlicht am 22.08.2016

Die aktuelle Burka-Diskussion geht in die falsche Richtung. Wie wäre es statt des Szylla-Charybdis-Szenarios "Burka-Verbot vs. Burka-Erlaubnis" mit einem Burka-Gebot? Und zwar einem umfassenden, geschlechterübergreifenden, permanenten? Von der Vollverschleierung des Abendlandes würde letzteres gleich mehrfach profitieren...

Erstens müsste es den Zeichen seines beständig beschworenen Untergang nicht mehr tagtäglich ins Gesicht blicken. Überalterung, Justin-Bieber-Epigonen, Piercings, Karies, Übergewicht, verpatzte nose jobs – alles weg.

Zweitens wäre man das Überwachungsproblem endlich los. Der Burka eignet dahingehend ein kritisch-aufklärerisches Potential, dass sie den Imperativ vollumfänglicher Sichtbarkeit, Transparenz, entsprechender Kontrollierbarkeit und Verwertbarkeit durchkreuzt. Sobald alle verschleiert sind, können wir die Kameras getrost verschrotten und uns endlich wieder in aller Öffentlichkeit im Schritt kratzen – ohne Angst zu haben, dass ein paar gelangweilte Security-Typen die Szene für ihre private Fetischsammlung mitschneiden. Byung-Chul Han wiederum könnte aufhören, seine schlechtgelaunte Kummerkastenphilosophie zu verbreiten. Die Linke, vom ständigen Interpellationszwang befreit, hätte mehr Zeit zum Austernessen. Und weil jede(r), der eine Burka trägt, ein zutiefst frommer und moralisch hochstehender Mensch ist, würden auch keine Verbrechen, deren Prävention und Aufklärung die Videoüberwachung verspricht, mehr begangen werden.

Drittens könnte die Anzahl der Hautkrebserkrankungen – nebst unschönen Anblicken am Strande – signifikant reduziert und im selben Zuge die Produktion von Vitamin-D-Präparaten angekurbelt werden, von Mineralwasser im Sommer ganz zu schweigen (Wirtschaft!).

Viertens könnten AfD & Co. den erzfrommen Muselmanen – die ja ohnehin so manche Überzeugung mit ihnen teilen – eines ihrer besten Argumente klauen. Wer wollte in derart gottgefälligen Gegenden wie dem Burkabendland noch zum Djihad aufrufen? Im Gegenteil – die in Korntal domizilierte Akademie für Weltmission wäre mit der Aufgabe zu betrauen, sich schnellstmöglich derjenigen Länder anzunehmen, in denen bislang eine nur fünfzigprozentige Verschleierungsdichte erreicht werden konnte. Frauke Petry und Jörg Meuthen – optisch nun kaum mehr voneinander zu unterscheiden – könnten sich überdies endlich glaubhaft damit rühmen, wahrhaft konservative Werte zu vertreten anstelle ihres bisherigen schalen Besitzstandwahrungs-Tamtams.

Fünftens würden Bodybuilding-Wettbewerbe um einiges interessanter werden. Ein bisschen pumpen und halbnackt posen kann jeder, sofern er über die entsprechenden Narzissmuskompetenzen verfügt. Doch nur wer es schafft, sogar hinter den Mauern eines "Gefängnis aus Stoff" (Eric Gujer) beeindruckend muskulös und shredded zu wirken, ist ein wahrer Meister der Körperkultur. Auch Schönheitswettbewerbe gewännen eine neue, poetische Qualität – wobei für Heidi Klum auch eine Stimmverschleierung zu erwägen wäre.

Sechstens würde die westliche Bevölkerung zu einer zentralen Erkenntnis ihrer so sorgsam touristisierten Avantgarde-Künstler aufschließen: Die Leerstelle macht die Musik! Gerade Reduktion, Verbergen und Unterlassen inspirieren zu hermeneutischen Höhenflügen. Schwarze Quadrate, blaue Rechtecke – das lässt sich problemlos auch mit Kleidung bewerkstelligen. So wäre bald jede(r) ein "unsichtbares Meisterwerk" (Hans Belting) und ausgewiesene(r) Experte/in in der Ästhetik der "Unbestimmtheitsstelle" (Wolfgang Iser). Als willkommener Nebeneffekt würde sich einstellen, dass die angstgetriebenen creative industries in Anbetracht der erhöhten kognitiven Anforderungen des Burkabendlandes – wie alt mag sie sein? Trägt er einen Bart? Zeichnet sich da ein Branding unter dem gespannten Stoff auf der Schulter ab? – aus einem unüberschaubaren Pool an imaginationsgeübten Talenten schöpfen könnte.

Kurzum, die Burka für alle ist der wahre Weg aus der Malaise des Abendlandes – die Kollateralschäden an der Kosmetikindustrie und ein paar Kameraherstellern wären billigend in Kauf zu nehmen.